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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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ist?«
    Bongart blinzelte mich zwischen Schmerz und Bitterkeit an. »Ich habe schon lange aufgehört, mich zu fragen, wo sich meine Ex herumtreibt.«
    Ich hätte ihm sagen können, wo sie war. Aber er schien es nicht wissen zu wollen. Vielleicht, weil er es wusste. Denn vielleicht hatte er vorgestern Abend seine Ex ja doch im Stall angetroffen.
    »Sind Sie sich eigentlich ganz sicher«, fragte ich, »dass Sie gestern Vanessa identifiziert haben, zweifelsfrei?«
    »Was soll das?« War es Misstrauen oder Hoffnung, die Bongart beutelten? »Zweifelsfrei? Wer kann das schon sagen? Ich werde nie wieder aufhören zu zweifeln, an mir als Vater, als Ehemann, als Mensch. Aber es hat doch keinen Sinn, sich an falsche Hoffnungen zu klammern. Ich muss mich damit abfinden, dass meine Tochter tot ist. Je eher, desto besser.«
    Ein tapferer Mann. Er beugte sich den Tatsachen, statt sich an Hoffnungen zu klammern. Denn er hatte der Kommissarin in der Kühlhalle der Gerichtsmedizin beweisen müssen und wollen, dass er der Vater war, ein einsamer verlassener Vater. Er konnte mit seiner Trauer nicht warten, bis der Zahnarzt das Gebiss der Toten überprüft hatte. Dem Zustand zwischen Hoffen und Bangen war er nicht gewachsen. Er machte Schluss mit den Gefühlen, bevor er im Wechselbad ertrank, definierte sich so als gescheiterter Vater und Ehemann und stürzte sich übermorgen wieder in seine Arbeit.
    Auch Todt hatte solchen Mut bewiesen, hatte sich lieber dem Urteil seines Vaters ausgeliefert, er habe seine Schwester töten wollen, als mühsam um die eigene seelische und moralische Rehabilitation zu kämpfen. Hätte Todt an der Schuld gezweifelt, die ihm sein Vater aufzwang, so hätte er den Familienfrieden aufs Spiel gesetzt und sein Erbe. Doch im Grunde war es nicht das finanzielle, sondern ein zutiefst emotionales Risiko, das Todt niemals eingegangen war. Er wäre der Freiheit nicht gewachsen gewesen. Sein ganzes Ich hatte sich so sehr um die Schuld herum gebaut, dass es zusammengestürzt wäre, hätte man ihm den Vorwurf entzogen, er habe sei ne Schwester umbringen wollen.
    »Herr Bongart, wissen Sie zufällig, ob Ihre Ex in Frankfurt eine Freundin hat und wie sie heißt?«
    »Wieso? Was interessiert Sie das denn?«
    »Ich habe zufällig erfahren, dass Ihre Ex dort sein oder Donnerstag dort zu Besuch gewesen sein könnte.«
    Bongart kniff die Augen zusammen. »Sie sind mir ein bisschen zu neugierig, Frau Nerz.«
    »Sehen Sie«, sagte ich munter, »am Ende stellt sich doch noch heraus, dass Sie mir gestern mit dem Auto eins auswischen wollten. Journalistinnen sind nun einmal neugierig. Sie wittern immer irgendwo Dreck. Aber Sie haben doch nichts zu befürchten, oder?«
    »Na gut, es gab mal eine Freundin in Frankfurt, eine Margot Henschel. Aber ob die noch aktuell ist, kann ich wirklich nicht sagen.«

19
     
    Ich verabschiedete mich von ihm mit dem Gefühl, dass bei Bongart im Ministerium doch etwas im Busch war, das den Stuttgarter Anzeiger interessieren könnte. Ich musste am Montag mit Pit Hessler darüber reden. Aber zunächst ließ ich mir an der Hotelrezeption etwas zum Schreiben geben und zog mich in die Sitzgruppe hinter einem Strunk Ziergräser zurück, um per Handy die Auskunft anzurufen. In wenigen Sekunden hatte ich die Nummer in Frankfurt.
    »Henschel«, sagte eine Frau.
    »Lisa Nerz. Ich hätte gern Frau Bongart gesprochen.«
    »Sie ist nicht hier.«
    »War Sie bei Ihnen?«
    »Warum wollen Sie das wissen?« Wahrscheinlich vermutete sie in mir eine Spionin von Heides Exmann.
    »Frau Henschel, ich rufe aus Vingen an. Es geht um Frau Bongarts Tochter. Ich müsste sie wirklich dringend sprechen.«
    Es gab einen Knick in ihrer Stimme. »Ich kann Ihnen leider auch nicht helfen. Ich weiß nicht, wo Heide abgeblieben ist. Ihr Flieger wäre gestern um halb neun gegangen. Sie wollte bei mir übernachten. Aber vielleicht ist sie dann doch direkt von Vingen aus gefahren. Bei sich zu Hause ist sie jedenfalls nicht. Ich habe schon angerufen. Was ist denn mit Vanessa? Heide wollte sie Donnerstagabend nach Stuttgart bringen.«
    »Der Vater ist aber hier in Vingen und sucht seine Tochter.«
    »Und wer sind Sie eigentlich?«
    »Ich bin vom Gestüt, wo Heide und Vanessa reiten.«
    »Um Gottes willen. Da wird doch nichts passiert sein.«
    »Haben Sie die Urlaubsadresse von Heide auf Teneriffa?«
    »Nein. Tut mir leid.«
    Die Polsterspalten in der Sitzgruppe hinter Ziergras, in die ich Hand und Handy sinken ließ, enthielten schmutzige

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