Pferdesommer mit Lara
das Haus, das immer mehr verfallen war, würde jetzt bald wieder voller Leben sein und den Zweck erfüllen, für den es bestimmt war.
Irgendwann fragte mich Arne, ob ich gern hier lebte und ob ich Freunde hätte. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, ihm von Ronja zu erzählen, doch ich mochte nicht darüber reden - noch nicht. So gab ich eine ausweichende Antwort, und er streifte mich mit einem forschenden Blick, stellte aber keine weiteren Fragen. Kurz darauf sagte er das mit dem Pferd:
»Rikke, ich wüsste ein Pferd für dich.«
Ich dachte, ich hätte mich verhört. »Was hast du gesagt?«
Er schob seinen Teller zurück, stützte einen Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn in die Handfläche. Seine Augen wirkten plötzlich traurig.
»Das ist eine lange, ziemlich düstere Geschichte.« Er senkte die Stimme, wohl, damit die Leute an unserem Tisch nicht mithören konnten. »In dem Reitstall, in dem wir Fee, Robin und Jago untergestellt hatten, ist auch eine Stute, die ihr ganzes Leben lang nur herumgeschubst wurde. Sie hatte in der Zeit, als unsere Pferde dort waren, drei oder vier verschiedene Besitzer. Manche Pferde haben dieses Schicksal, es ist wie eine Art Fluch. Keiner will sie auf Dauer behalten, und es kümmert sich auch niemand darum, wie der nächste Besitzer mit dem Tier umgeht. Ich hab das nie verstehen können.«
Ich hörte Arne gern zu. Er hatte eine ruhige, sanfte Stimme, und seine Miene drückte viel von dem aus, was er empfand. Jetzt lag ein Schatten über seinem Gesicht.
»Lara - so heißt die Stute - erwischte es von Mal zu Mal schlechter. Zuletzt wurde sie von einem Typen gekauft, der sich überhaupt nicht um sie kümmerte. Warum er ein Reitpferd wollte, hab ich nie kapiert. Sie war ein Sportgerät für ihn, nicht mehr. Er kam nur ab und zu, ritt mit ihr aus, übergab sie wieder dem Pferdepfleger und verschwand. Besonders gut ist er nicht mit ihr umgegangen. Sie hatte Angst vor ihm, das war mir klar. Sonst stand sie die ganze Zeit in ihrer engen Box, denn im Reitstall hatte keiner Zeit, sie ins Freie zu führen. Ich hab sie ab und zu herausgeholt, weil ich’s kaum mit ansehen konnte, wenn sie wie ein verlassenes, eingesperrtes Kind über ihre Halbtür schaute.«
Seine Schilderung bedrückte mich. »Was ist aus ihr geworden?«, fragte ich, als er schwieg.
»Sie wurde krank. Kein Wunder bei dem Bewegungsmangel. Sie bekam eine Hautflechte und irgendwas ist mit ihren Hufen nicht in Ordnung. Jetzt will der letzte Besitzer sie loswerden, aber er findet keinen Käufer, weil sie durch ihre Hautkrankheit nicht besonders attraktiv aussieht. Außerdem ist sie total schreckhaft. Sie hat auch ziemlich abgenommen. Ich hab sie nicht mehr gesehen, seit wir umgezogen sind, aber eine Freundin, die im Reitstall eine Reitbeteiligung hat, hat mich gestern übers Handy angerufen und mir von Lara erzählt.«
»Was ist, wenn keiner sie kauft?«
Arne biss sich auf die Unterlippe. Dann sagte er: »Das wäre dann wohl ihr Todesurteil. Vermutlich landet sie auf einem dieser grausamen Schlachttransporte. Ihr Besitzer möchte ein neues, unverbrauchtes Pferd. Er hat keine Lust mehr, jeden Monat eine Stange Geld für Laras Unterbringung und ihr Futter hinzublättern, das hat er klar und deutlich gesagt.«
»Könnt ihr sie nicht nehmen?«
Er schüttelte den Kopf. »Das hab ich mir natürlich auch schon überlegt. Aber mein Vater sagt, drei Pferde sind mehr als genug. Wir haben nicht das Geld, auch noch ein viertes durchzufüttern. Außerdem machen Pferde ja auch Arbeit, das kann man nicht leugnen. Sie müssen geputzt, versorgt und bewegt werden, und wenn sie krank sind, brauchen sie viel Zeit und Aufmerksamkeit - ganz abgesehen von den Tierarztkosten.«
Wir sahen uns an. Dass Arne an mich gedacht hatte, daran, dass ich diese arme herumgestoßene Stute nehmen könnte, die sonst keiner haben wollte, wunderte mich und tat mir zugleich gut. Trotzdem zeigte es auch, dass er nichts von mir und meinem Leben wusste.
»Ich wohne mit meinen Eltern in einem Reihenhaus«, sagte ich. »Wir haben nur einen winzigen Garten, in dem man sich kaum umdrehen kann. Wo soll ich da ein Pferd halten? Kannst du mir das mal erklären?«
Arne lächelte leicht. »Ganz so abgedreht, wie du meinst, bin ich auch wieder nicht. Die wenigsten Menschen leben so, dass sie sich ein Pferd aufs Grundstück stellen können, und heute hat auch kaum noch jemand einen Stall. Ich hab dir das nicht einfach so naiv vorgeschlagen. Klar hab ich mir Gedanken
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