Pferdesommer mit Lara
Gefühl, dass sie mehr Appetit bekam. Besonders wild war sie plötzlich auf Karotten. Arne meinte, sie würden ihrem Fell und ihren Augen guttun.
Seine Schwester Elisa hatte sich inzwischen im Reitklub angemeldet, der ungefähr sieben Kilometer von Eulenbrook entfernt in einem ehemaligen Jagdschloss untergebracht war.
Ronja und ich hatten uns vor Jahren einmal in Dianenruh umgesehen, doch die Reitstunden und der Mitgliedsbeitrag waren für uns unerschwinglich teuer gewesen. Der Klub hatte den Ruf, dass die »wichtigen Leute« unserer Gegend dort ihre Pferde einstellten und ihre Kinder zum Reitunterricht brachten.
»Der Mitgliedsbeitrag ist schweinemäßig hoch«, sagte auch Arne, als wir uns am folgenden Wochenende zur Reitstunde trafen. »Und mein Vater hat für solche Extraausgaben jetzt wirklich kein Geld. Aber Elisa hat in England angerufen, und unsere Mutter hat versprochen, ihr einen Scheck zu schicken. Wahrscheinlich will sie ihr schlechtes Gewissen damit beruhigen.«
»Und?«, fragte ich. »Was hat deine Schwester gesagt? Gefällt ihr der Reitklub?«
»Sie ist absolut begeistert, aber das ist bei ihr anfangs meistens so. Sie behauptet, die Leute wären genau ihre Wellenlänge. Und sie hat sich schon mit irgendeinem Typen und seiner Schwester angefreundet. Das geht bei ihr sehr schnell, wenn sie jemanden cool findet. Jedenfalls ist sie seit zwei Tagen richtig gut drauf und überhaupt nicht mehr mürrisch oder aggressiv.«
Das Leichttraben ging inzwischen schon ganz passabel. Ich ritt nach wie vor auf Fee, denn Arne und Herr Theisen meinten, Lara müsste noch längere Zeit in Ruhe auf der Weide stehen und sich erholen, und vor allem müssten ihre Hufe in Ordnung sein, ehe sie wieder geritten werden konnte.
An diesem Sonntagvormittag sah es nach Regen aus. Dicke Wolken trieben wie pralle, mit Tinte übergossene Federbetten über den Himmel. Nur manchmal tauchte für wenige Sekunden oder Minuten eine fahle Sonne zwischen den Wolkenrändern auf.
Ich hatte es erst zweimal mit dem Galoppieren versucht. Obwohl Arne sehr geduldig war und mir immer wieder gut zuredete, hatte ich davor nach wie vor eine tief sitzende Angst, die ich nicht so leicht überwinden konnte.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich nicht fest genug im Sattel saß, wenn Fee so über die Wiese raste, und dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich den Halt verlor und in hohem Bogen durch die Luft segelte.
Arne versicherte, dass nichts passieren könne, wenn ich einfach locker im Sattel säße. Und falls ich doch fallen sollte: Für gewöhnlich wären die Stürze nicht schlimm, man würde hinterher einfach wieder aufstehen und mit ein paar blauen Flecken davonhumpeln.
»Das ganze Leben ist doch ein Risiko«, sagte er. »Ob man die Straße überquert oder ins Auto oder in ein Flugzeug steigt oder mit dem Fahrrad -«
Er stockte und sah mich betroffen an. Ich wusste, er hatte nicht nachgedacht, es war eine unüberlegte Bemerkung gewesen, die er am liebsten zurückgenommen hätte.
»- mit dem Fahrrad fährt«, vervollständigte ich bitter. »Ja, das kann allerdings lebensgefährlich sein.«
Ronja war mit ihrem Rad verunglückt, aber dafür konnte Arne nichts.
»Entschuldige, Rikke. Ich bin ein Idiot.«
»Ist schon okay. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es ändert auch nichts, wenn man es totschweigt.«
Eine Weile übte ich Leichttraben und es ging richtig gut. Nach ungefähr einer Viertelstunde zügelte ich Fee, holte tief Luft und sagte: »Und jetzt galoppiere ich!«
»Du musst nicht. Nur wenn du das Gefühl hast, dass du wirklich bereit dafür bist.«
Dieses Gefühl hatte ich überhaupt nicht, aber ich war trotzdem entschlossen, meine Panik zu überwinden und es zu versuchen. Schließlich wollte ich Reiten lernen und der Galopp gehörte nun einmal dazu. Es hatte keinen Sinn, mich ewig davor zu drücken.
»Also gut, versuchen wir’s. Aber denk dran: möglichst locker sitzen und nicht mit den Händen am Sattelrand festhalten oder in Fees Mähne festkrallen.«
Ich nickte folgsam, wusste dabei aber, dass ich automatisch wieder nach dem Sattel greifen würde wie ein Schiffbrüchiger nach einer Bootsplanke, wenn es brenzlig wurde. Und genau so kam es auch. Kaum hatte sich Fee gestreckt und ein paar weit ausgreifende Sprünge gemacht, die mir das Gefühl gaben, auf einem geflügelten Pferd durch die Lüfte zu zischen, überwältigte mich die Panik. Ich hätte schwören können, dass ich mich nicht mehr lange halten würde,
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