Pferdesommer mit Lara
sollen! Wenn man mit Pferden umgeht, kommt man um diese Impfung nicht herum, denn wo Pferde sind, gibt’s meistens auch Tetanuserreger. Und Wundstarrkrampf ist eine scheußliche Sache. Man kann ohne Weiteres daran sterben.«
»Aha«, sagte ich. »Und was mach ich jetzt?«
»Mein Vater fährt dich zu eurem Hausarzt, der soll dich sofort impfen. Je schneller, desto besser. Aber erst gehen wir zum Bach, und du wäschst den Schmutz von deinem Gesicht und deinen Händen, damit die Wunden wenigstens oberflächlich gesäubert sind. Kannst du gehen?«
»Klar. Mir fehlt nichts, ich hab’s dir doch gesagt.«
Herr Theisen war nicht da, als wir zum Wohnwagen kamen, aber einer der Handwerker erklärte sich bereit, mich mit seinem Kombi zum Arzt zu fahren. Arne fragte, ob er mitkommen sollte, doch ich lehnte ab.
»Du brauchst mir nicht das Händchen zu halten«, sagte ich. »Kümmere dich lieber um Fee. Sie kann schließlich nichts dafür, dass ich mich so vertrottelt benommen habe.«
Er erwiderte, ich sollte mich nicht immer selbst so niedermachen. »Die besten Reiter fallen vom Pferd und für einen Anfänger ist das wirklich keine Schande. Kommst du heute noch mal vorbei?«
»Sicher, zur Abendfütterung. Entschuldige, dass ich solchen Trouble gemacht habe.«
Er schnitt eine Grimasse. »Jetzt hör aber auf! Steig ins Auto und verschwinde. Und wenn’s dir später nicht so gut geht, ruf einfach an, ich versorge Lara dann für dich.«
Während ich neben Maurermeister Appel in seinem blauen Kombi das Gittertor von Eulenbrook passierte, dachte ich, dass Arne im Grunde einfach zu gut war, um wahr zu sein.
Wie sich bald herausstellen sollte, war ich nicht die Einzige, die das fand.
6
Auch meine Nase hatte beim Sturz etwas abbekommen. Mit dem zerschrammten Kinn und den aufgeschürften bläulichen Stellen an der Wange und am Nasenflügel sah ich ein paar Tage lang recht abenteuerlich aus.
In der Schule lachten sie, als ich auf die Frage, was mir passiert sei, erklärte, ich wäre vom Pferd gefallen. Ursprünglich hatte ich überlegt, ob ich nicht lieber behaupten sollte, ich wäre auf der Treppe gestürzt oder etwas in dieser Art, damit sie mich mit ihren Kommentaren verschonten.
Doch der erwartete Spott blieb aus. Ein paar von den Mädchen, die mich seit Ronjas Tod nicht mehr beachtet hatten, kamen sogar und erkundigten sich, wie lange ich schon Reitunterricht hätte und in welchem Reitstall, doch ich erzählte nichts von Arne und Lara.
»Du siehst wie eine Räuberbraut aus«, sagte Isabell, mit der ich früher so halbwegs befreundet gewesen war. Und obwohl ich wusste, dass es eine harmlose Bemerkung war, musste ich sofort wieder an Ronja denken, die ihren Namen nach Astrid Lindgrens Heldin in der Geschichte von Ronja Räubertochter bekommen hatte.
Laras Hufkrankheit besserte sich. Die kahlen, schorfigen Stellen in ihrem Fell verschwanden. Doch ihre seelischen Wunden heilten nur langsam. Sie war nach wie vor schreckhaft und voller Ängste und fraß weniger als die anderen Pferde.
Meist stand sie mit hängendem Kopf auf ihrem Schattenplatz zwischen den Haselnussbüschen und interessierte sich kaum für das, was um sie herum vorging. Dabei hatten wir inzwischen die Absperrung zwischen den Koppeln entfernt und sie war mit Fee, Robin und Jago zusammen auf der Weide. Trotzdem hielt sie sich weiter abseits. Die anderen Pferde schienen zu akzeptieren, dass Lara eine Außenseiterin war, und ließen sie in Ruhe.
»Es ist fast, als würde sie noch in ihrer engen dunklen Box im Reitstall stehen«, sagte ich an einem Samstagnachmittag im September zu Arne. »Ich hab gedacht, sie würde hier total aufblühen. Was ist bloß mit ihr los?«
»Wir müssen ihr Zeit lassen. Vielleicht bräuchte sie ja einen Pferdeflüsterer …«
Er sagte es halb im Scherz, aber ich wusste, was er meinte.
Lara kam mir wie ein Mensch vor, der durch schlimme Erlebnisse in eine schwere Depression verfallen ist, die er aus eigener Kraft nicht überwinden kann.
Ich überlegte gerade, ob ich vielleicht Frau Friedrun um Rat fragen sollte, als Jago den Kopf hob und sein durchdringendes Trompetengewieher ausstieß. Bonnie begann zu kläffen und raste quer über die Koppel und Fee preschte hinter ihr her. Sogar Lara spitzte die Ohren.
»Da ist bestimmt ein fremdes Pferd in der Nähe«, sagte Arne.
Wir drehten uns um. Aus den Baumwipfeln des Wäldchens, das Eulenbrooks Koppeln von der Landstraße trennte, schwang sich ein Schwarm Eichelhäher kreischend in
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