Pflicht und Verlangen
nicht tun,
beschloss Charlotte grimmig.
Es
ging darum, so folgerte sie, sich nicht den Anschein eines Opferlamms
zu geben. Vielleicht würde er dann das Interesse an seinen
widerwärtigen Vergnügungen verlieren. Es war eine schwache
Hoffnung, aber es war zumindest ein möglicher Weg. Alles war
besser, als hilflos auf die eigene Vernichtung zu warten. Letztlich
musste sie Terency und ihre Tante nur so lange hinhalten, bis sie das
Geld aus dem Nachlass ihres Vaters erhielt. Dann konnte sie fliehen
und sich am besten irgendwo unter falschem Namen niederlassen, wo sie
niemand finden konnte. Sie hoffte inständig, dass Dr. Banning
bald sein Versprechen einlösen würde.
******
Battingfield
betrachtete seine Gattin, die ihm in der gut gepolsterten, geräumigen
Kutsche gegenübersaß. Gwendolyn Battingfield schaute
jedoch demonstrativ aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft
und würdigte ihn keines Blickes. Seit dem Frühstück am
Vortag hatten sie wenig miteinander gesprochen. Sie zürnte ihm.
Ein Verhalten, für das er durchaus Verständnis hatte.
Schließlich hatte er sich ja weder überschwänglich
über die Nachricht der ersehnten Schwangerschaft gefreut noch
konnte er den Verdacht, der in seiner Gattin aufgekeimt war,
ausräumen. Dass sie ihn offen verdächtigte, eine Affäre
mit der jungen Millford begonnen zu haben, war nur zu offensichtlich.
Und er konnte es ja auch nicht ableugnen – wäre es nach
seinen Wünschen gegangen, er hätte es getan. Die Sehnsucht
nach Charlotte brachte ihn fast um. Auch in der letzten Nacht hatte
er keinen Schlaf gefunden, hatte stattdessen davon geträumt, bei
ihr zu liegen und ihre warmen, schlanken Glieder zu spüren und
zu liebkosen. Danach verlangte es ihn genauso, wie er sich nach ihrem
wachen Verstand und ihrem aufrichtigen, festen und doch so
zartfühlenden Wesen sehnte. Charlotte war für ihn der
Inbegriff einer vollkommenen Frau und sie fehlte ihm schon jetzt,
kaum dass sie zwei Tage fort war, mehr als er ertragen konnte. Wenig
verwunderlich, dass seine Gattin eifersüchtig war! An ihrer
Stelle würde er ebenso empfunden haben.
Jedoch
war für seine Ehefrau die Gefahr gebannt. Charlotte hatte ihre
Entscheidung gefällt und dies bedeutete für sie wie für
ihn schmerzlichen Verzicht. Nur seine Träume blieben ihm und das
konnte ihm nicht genügen. Es war besser, er versuchte alles zu
vergessen. Arbeit, ein erneutes Kommando, die See würden sicher
die rechte Medizin für sein Leiden sein.
Aber
das Schlimmste war die Gewissheit, dass er Charlotte keineswegs in
guten Verhältnissen wusste. Was hatte ihr nur solche Angst
gemacht? Die Frage quälte ihn mehr und mehr. Was, wenn es ihr
nicht gut ging, wenn ihr gar Gefahr drohte und ihm waren die Hände
gebunden? Er brachte es nicht über sich so zu tun, als berühre
ihn ihr Schicksal nicht mehr. Das Gegenteil war der Fall, er fühlte
sich ihr mehr denn je verbunden.
Selbst
das Gespräch mit Walter hatte ihm keine weiteren Erkenntnisse
verschafft. Dieser hatte sich in Schweigen gehüllt, nachdem er
ihm mitgeteilt hatte, dass Charlotte ihn zu später Stunde noch
im Pfarrhaus aufgesucht hatte. Aufgeregt und durcheinander sei sie
gewesen, das hatte er verlauten lassen, aber der Inhalt des Gesprächs
unterliege seiner Pflicht zur Verschwiegenheit. John hatte es
zähneknirschend akzeptiert. Wenigstens machte ihm Walter keine
Vorwürfe. Vielleicht wusste er ja auch gar nichts davon, dass
er, John, schließlich versagt und Charlotte seine Gefühle
für sie offenbart hatte. Wahrscheinlich hatte sie nichts davon
berichtet.
Daraufhin
hatte Walter ihm förmlich zur Schwangerschaft seiner Frau
gratuliert und die Stiftungsgeschäfte besprochen. Auch bat er
sich aus, während der Abwesenheit der Battingfields die Arbeit
am Brandon’schen Nachlass fortführen zu dürfen. Er
habe es der jungen Frau fest versprochen. Es war selbstverständlich,
dass ihm dies gewährt wurde. Dann hatte es nichts mehr zu sagen
gegeben. Seltsam steif waren sie voneinander geschieden in der
beiderseitigen Gewissheit, dass ein neuer Lebensabschnitt begonnen
hatte und sie sich für eine lange Zeit nicht sehen würden.
Battingfield
bedauerte das aufrichtig. Walter war ihm zu allen Zeiten mehr
väterlicher Freund gewesen als es sein eigener Vater je hatte
sein können. Es schmerzte ihn, dass nun ein Geheimnis zwischen
ihnen stand. Charlotte hatte mit jedem Wort recht gehabt. Diese Liebe
war zerstörerisch, aber sie war auch stark, zu stark für
ihn
Weitere Kostenlose Bücher