Pflicht und Verlangen
beruhigte sie ein wenig. Sie
musste diesen Abend und den folgenden Tag einfach irgendwie
überstehen und Situationen strikt vermeiden, in denen sie mit
ihrem unerwünschten Verehrer allein war. Dann könnte sie
Terencys befürchtetem Angriff auf sie erfolgreich entgehen.
Nachdem sie aufgegessen hatte, stand sie mit Mrs Sooners Hilfe auf
und begann sich anzukleiden. Die Köchin schüttelte ein ums
andere Mal den Kopf und beklagte die Rücksichtslosigkeit von
Lady Millford, die selbstverständlich erwartete, dass Charlotte,
ob fiebrig oder nicht, strahlend zum Dinner erschien, doch Charlotte
ließ sich dadurch nicht beeinflussen. Selbstmitleid führte
zu nichts. Äußerlich ruhig, gab sie sich Mühe, die
Anzeichen ihrer Erkrankung so gut wie möglich mit etwas Puder
und Rouge zu überdecken und wählte dann, einer Eingebung
folgend, das Kleid ihrer Mutter für den Abend. In diesem Kleid
fühlte sie sich – beschützt durch den Geist ihrer
Mutter – stärker als in den Kleidern, die ihr Lady
Millford hatte anfertigen lassen und die für die junge Frau der
Ausdruck ihrer Abhängigkeit waren.
Dann
schritt sie mit klopfendem Herzen die Treppe hinunter. Kaum hatte sie
die Eingangshalle betreten, als sie auch schon den Hufschlag eines
Pferdes draußen auf der Zufahrt hörte. Es war soweit!
Jetzt galt es, sich zu wappnen.
Sie
zog sich zurück in den blauen Salon, in dem Lady Millford Gäste
in Empfang zu nehmen pflegte und tatsächlich traf sie diese dort
an. Mit einem leichten Knicks begrüßte sie sie, wurde aber
nur mit einem unwilligen Blick empfangen. Charlottes Garderobe
erregte natürlich Missfallen. Lady Millford hatte ohne Frage von
ihr erwartet, dass sie eines ihrer neuen Kleider für den
wichtigen Anlass wählen würde, aber das war ihr jetzt
gleichgültig. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür
und Arthur trat ein, the right honourable Mr Gaylord Terency
ankündigend. Dieser betrat in gewohnt übertrieben
schwungvoller Art den Raum. Allein sein selbstbewusstes Benehmen
bereitete Charlotte erneute Übelkeit. Wie immer war der Gast
tadellos und nach der neuesten Mode gekleidet. Lediglich ein wenig
Schmutz an seinen weißen Pants zeugte von dem Ritt nach
Millford Hall. Er verbeugte sich galant, nachdem der Domestik den
Raum verlassen hatte, und küsste in weltläufiger Manier
zunächst Lady Millford die Hand, die ihn mit einem gewinnenden
Lächeln begrüßte, dann wandte er sich Charlotte zu,
die sich dazu zwingen musste, ruhig zu bleiben. Auch diese bedachte
er mit einem formvollendeten Handkuss. Es war widerlich! Sie musste
sich zusammenreißen, um ihm ihre Hand nicht gewaltsam zu
entziehen und begann, vor unterdrückter Abscheu zu zittern.
Terency bemerkte ihren starken Widerwillen selbstverständlich
und blickte ihr in seiner aufreizenden Art, die so typisch für
ihn war, in die Augen.
» So
nervös, Miss Millford? Ich hoffe doch, es ist die Freude mich
wiederzusehen, die Sie erbeben lässt?«
» Mitnichten,
Mylord«, gab Charlotte zurück, »ich hatte Sie so
bald nicht wieder hier erwartet. Es ist wohl die Überraschung,
die mich erzittern ließ.«
» Oh,
es ließ mir keine Ruhe. Ich musste zurückkehren, da doch
Millford Hall so ungeahnte Schönheit und verlockend schwache
Weiblichkeit birgt«, meinte er unschuldig lächelnd.
Charlotte hätte ihm am liebsten sein engelhaftes Gesicht
zerkratzt, aber sie zwang sich, ebenfalls kühl zu lächeln.
» Ich
hoffe, Sie haben Ihren Freund vor seiner Abreise nach Übersee –
oder war es Indien – noch erreicht? Waren Ihre geschäftlichen
Absprachen erfolgreich?«
» Wie?«
Terency wirkte kurz irritiert, fing sich aber gleich wieder. Es war
offensichtlich, dass er sich nicht mehr recht an die Lüge
erinnerte, mit der er den plötzlichen Aufbruch nach seinem
verabscheuungswürdigen Verbrechen entschuldigt hatte. Charlotte
sah ihn herausfordernd an. Sie wollte ihm deutlich zu verstehen
geben, dass sie herausgefunden hatte, was vorgefallen war. Deshalb
bohrte sie noch tiefer: »Seltsam, dass Sie sich nicht erinnern,
Mylord. Schien es Ihnen doch so wichtig, dass Sie sich bei Ihrem
letzten Besuch auf recht unhöfliche Weise von uns
verabschiedeten. Man könnte fast sagen, Sie seien von hier
geflohen!«
» Charlotte!«
Der empörte Ausruf ihrer Tante hinderte die junge Frau nicht
daran, den Angriff auf ihren Widersacher fortzusetzen. »Oder
hatten Sie andere Gründe, uns so vorzeitig zu verlassen?«,
fragte sie scharf.
Terency
stutzte und das affektierte Lächeln
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