Pflicht und Verlangen
sich
interessant zu machen. Falls es überhaupt zu einem Übergriff
gekommen ist, wird der Übeltäter wohl einer der
Stallknechte gewesen sein. Wer weiß, wem sie schöne Augen
gemacht hat? Sie hat sich alles selbst zuzuschreiben. All das ist zu
schäbig und vulgär, als dass ich mich noch längere
Zeit damit beschäftigen möchte.« Lady Millford ging
einen Augenblick im Zimmer auf und ab und suchte die Erregung, die
sie gegen ihren Willen erfasst hatte, zu unterdrücken. Dann
wandte sie sich ihre Nichte erneut zu, die abwartend und schweigend
in der Mitte des Raumes stand und maß sie mit einem strengen,
mitleidlosen Blick. »Nichtsdestoweniger erscheint es mir aber
in höchstem Maße befremdlich, dass du dich mit diesen
abgefeimten Lügen auch noch gemeinmachst, obwohl es mir die
Einschätzung deines verdorbenen Charakters bestätigt. Es
war ein Fehler, dich ins Haus zu holen. Ich muss dich wohl nicht noch
einmal darauf aufmerksam machen, dass es eine große Ehre für
uns ist, das the right honourable Gaylord Terency uns noch einmal
besucht, obwohl du dich ihm gegenüber bisher höchst
unmanierlich benommen hast. Wer weiß, was er an dir findet!
Aber ich erwarte von dir, dass du ihm in Zukunft mehr Zuneigung
zeigst. Das ist deine Pflicht als Angehörige des Hauses
Millford. Du bist es Sir Alistair schuldig, der dich über Jahre
hinweg versorgt hat. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
» Gewiss,
Tante!«, Charlotte biss so heftig die Kiefer zusammen, dass es
schmerzte. Sie hätte am liebsten aufgeschrien in ihrem Zorn und
ihrer Ohnmacht. Der gute Dr. Banning! Er hatte auf Einsicht und
Verständnis gehofft. Was ahnte er denn von der
Rücksichtslosigkeit einer Frau, die sich in die Enge getrieben
sah und fürchtete zu verlieren, was sie sich in ihrem Leben
aufgebaut hatte? Lady Millford würde sie auch mit dem Teufel
persönlich verheiraten, wenn sie sich einen Vorteil davon
versprach. So war sie, Charlotte, ausschließlich auf sich
allein gestellt. Sie musste einen Weg finden, sich vor Terencys
Übergriffen zu schützen so gut es ging.
Wie
durch einen wattigen Nebel vernahm sie nur undeutlich die weiteren
Anweisungen ihrer Tante. Mr Terency werde am nächsten Abend zum
Dinner erwartet. Selbstverständlich habe sie sich dann tadellos
gekleidet und mit höchster Zuvorkommenheit dem hohen Gast zu
widmen. Weitere Eskapaden, wie beim letzten Dinner, würden nicht
weiter geduldet werden, und so weiter … So ging es noch eine
ganze Weile.
Charlotte
hörte kaum mehr hin und verließ, als Lady Millford mit
ihren Ermahnungen und Befehlen endlich zu einem Ende gekommen war,
ermattet das Zimmer. Sie fühlte sich todmüde und krank. Sie
brauchte einfach ein wenig Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen
und ihre schwierige Lage zu überdenken. Als sie ihr Zimmer
erreicht hatte, legte sie sich in ihren Kleidern auf das Bett und
schloss die Augen.
Wenn
ihr nur nicht so unaufhörlich der Kopf und der Hals geschmerzt
hätte. Gerade jetzt brauchte sie doch nichts mehr als einen
besonnenen Verstand und die Kaltblütigkeit eines Kriegers, der
in die Schlacht zog. Sie musste herausfinden, was Terency so an ihr –
oder der Situation – reizte, dass er es wagte, nicht nur wieder
herzukommen, sondern seine Bemühungen auch noch zu verstärken.
Dass er ehrenhafte Absichten hatte, stand keinesfalls zur Debatte.
Die Hoffnungen ihrer Tante waren lächerlich und vergeblich. Eine
Tatsache, für die Lady Millford aber vor lauter Gier nach der
Stellung und dem beträchtlichen Vermögen Terencys blind
war. Als Charlotte das Wort »Gier« durch den Sinn ging,
fielen ihr ihre Überlegungen über den Charakter des
verhassten Mannes wieder ein, die sie am Morgen angestellt hatte, als
sie Emmy beim Packen half. Was ihn vermutlich trieb, war eine
besonders gefährliche Form der Gier. Er schien eine kranke und
verdrehte Freude, ja Lust zu empfinden, wenn eine hilflose Kreatur,
ein wehrloses Opfer zur Strecke gebracht wurde. So liebte er die Jagd
mit der überlegenen Meute, so hatte er die kindliche und ihm
hilflos ausgelieferte kleine Magd gequält und so lockte ihn wohl
auch die im Grunde aussichtslose Situation, in der Charlotte sich
befand. Terency hatte sicher bemerkt, dass Lady Millford ihn
unbedingt einzufangen versuchte und Charlotte sich ihren Anweisungen
zu unterwerfen hatte. Das musste es sein! Er glaubte, ein sicheres
Spiel zu haben und genoss es wohl umso mehr, je verzweifelter sie
sich gab. Diesen Gefallen würde sie ihm aber
Weitere Kostenlose Bücher