Pflicht und Verlangen
zerfledderte Papillote hoch, »zusammenzufügen vermag,
ist es mir sonnenklar, dass Sie bereits den einen oder anderen Disput
mit Lady Millford ausgefochten haben. Sie dürfen meiner
ungeteilten Hochachtung versichert sein. Lady Millford besitzt neben
anderen edlen Vorzügen einen sehr starken Willen und noch
stärkere Vorstellungen von Schicklichkeit.«
Charlotte,
eben noch mit Röte und Peinlichkeit übergossen, musste nun
doch lachen. »Sie haben mich durchschaut, Captain. Sie sind ein
nicht zu täuschender Beobachter, einem Forscher nicht unähnlich.
«
» In
der Tat wäre das ein interessantes Betätigungsfeld, ich
habe früher manche Stunde mit Lupe und Fernrohr verbracht.«
Der Captain grinste jungenhaft. »Aber leider bin ich nur ein
gewöhnlicher Captain der Marine geworden. Ich habe letztes Jahr
meinen Abschied genommen und bin nach Dullham Manor zurückgekehrt.
Mein Vater, der Baron of Dullham, verstarb letztes Jahr und ich
übernahm seinen Titel und die damit verbundenen Pflichten.«
» Oh,
das tut mir leid!«
» Dass
ich Ihr Nachbar bin, tut Ihnen leid …?«
» Nein,
ich meine, dass Ihr Vater starb letztes Jahr«, gab Charlotte
halb belustigt, halb verärgert zurück und begann,
weiterzugehen.
» Sicher,
ein Todesfall ist immer traurig, doch er war hochbetagt und von
schlimmen Schmerzen geplagt. Der Tod war ihm letztlich eine
willkommene Erlösung von seinen Leiden.« Charlottes
Gesprächspartner hielt einen Augenblick nachdenklich inne, als
plagten ihn unschöne Erinnerungen, fuhr dann aber fort: »Ich
habe auch während meines Dienstes bei der Marine wenig Zeit in
Dullham Manor, beziehungsweise in England, verbracht. Ich war die
meiste Zeit auf See.«
Erstaunt
stellte Charlotte fest, dass der jetzige Baron of Dullham keinen
allzu großen Wert auf seinen Titel zu legen schien. Hätte
er sich ihr sonst als einfacher »Captain« Battingfield
vorgestellt? Diese Haltung machte ihn in ihren Augen noch
sympathischer, als er ihr ohnehin zu sein schien. Charlotte hatte den
Dünkel des Hochadels in Longbottom nur allzu oft unangenehm zu
spüren bekommen. Nicht wenige der Mädchen hatten sie wegen
ihrer zweifelhaften Herkunft gemieden und auch die ablehnende Haltung
Lady Millfords war zumindest nicht ganz unverständlich.
Der
Captain begann nun, Charlotte von seinen Reisen zu berichten, was bei
seiner Zuhörerin auf großes Interesse stieß und so
in ein angeregtes Gespräch vertieft verging die Zeit der
Wanderung bis Millford Hall wie im Fluge. Fast bedauerte Charlotte
es, als die inzwischen erleuchteten Fenster des Herrenhauses zwischen
den Bäumen auftauchten. Auch ihr Begleiter war immer langsamer
gegangen und schien nicht begierig, das Ziel seiner Reise zu
erreichen.
Als
sie schließlich eintrafen, öffnete Arthur, der Butler, mit
einem Ausruf der Erleichterung: »Miss Brandon! Wir hatten uns
schon Sorgen um Sie gemacht und eben habe ich die Stallknechte
angewiesen, einen Suchtrupp zusammenzustellen.«
» Um
Himmels willen, Arthur! Das war doch nicht nötig. Sei
versichert, dass ich nicht so töricht bin, mich mutwillig in
Gefahr zu bringen«, antwortete Charlotte betroffen. »Ich
fürchte, Lady Millford ist recht zornig auf mich?«
» Das
weiß ich nicht, Miss. Sie hat sich zu Ihrem Ausbleiben bislang
nicht geäußert.«
Charlotte
bemerkte beiläufig, wie Captain Battingfield neben ihr erstaunt
und leicht verärgert die Augenbrauen zusammenzog. Doch da
ertönte schon Lady Millfords Stimme aus dem südlichen
Zugang zur Eingangshalle: »Charlotte, ich bin erleichtert, dass
du es vorgezogen hast, von deinen törichten Wanderungen
heimzukehren, bevor du das ganze Haus in Aufregung versetzt hast. Ich
habe bisher vermieden, Sir Alistair von deinem Ausbleiben in Kenntnis
zu setzen, um seine ohnehin angegriffene Gesundheit zu schonen. Aber
ich sehe, dass Lord Battingfield dich aufgefunden und sicher nach
Hause gebracht hat. Dafür sind wir Ihnen, Lord Battingfield,
natürlich zu größtem Dank verpflichtet und ich möchte
mich sehr für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die das
unbedachte Verhalten meiner Nichte Ihnen verursachte.«
Der
Captain verbeugte sich mit vollendeter Höflichkeit, bevor er
freundlich, aber nicht ohne Nachdruck bemerkte: »Verehrte Lady
Millford, seien Sie versichert, dass mir Miss Brandon keinerlei
Unannehmlichkeiten bereitet hat. Sie war mir auf dem Weg eine äußerst
amüsante Gesprächspartnerin. Ich muss sagen, dass ich seit
Langem keinen Spaziergang mehr als so
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