Pflicht und Verlangen
anregend empfand. Abgesehen
davon musste sie keineswegs aufgefunden werden. Ihre Nichte
hatte sich mitnichten verlaufen und war jederzeit bestens über
ihren Standort informiert, hat sich jedoch im Entzücken über
die reizenden Ansichten des Waldes wohl etwas vergessen.«
Charlotte
lächelte dem Captain über die Schulter ihrer Tante hinweg
dankbar zu. Nun, in der hell erleuchteten Halle, gefiel er ihr
eigentlich noch besser als bei ihrer Begegnung auf dem Fußpfad.
Doch da hub Lady Millford erneut an: »Ich nehme an, Sie wollen
Ihr angekündigtes Gespräch mit meinem Gatten wahrnehmen. Er
hat Sie schon erwartet und ich werde Sie gleich zu ihm führen
lassen. Doch beantworten Sie mir noch vorher die Frage, wie es Ihrer
reizenden Gattin, Lady Battingfield, und deren Mutter, Lady
Wellesley, geht.«
Charlotte
gefror das Lächeln auf den Lippen. Der Captain war verheiratet
und das natürlich mit einer reizenden Frau aus bester Familie.
Wie hätte es auch anders sein können? Sie schämte sich
unsäglich, denn nun wurde ihr mehr denn je bewusst, wie sehr sie
es an damenhafter Zurückhaltung hatte fehlen lassen. Mit einem
Knicks vor Lady Millford und dem Captain murmelte sie eine
Entschuldigung und beeilte sich, die Treppen hoch und in ihr Zimmer
zu kommen.
Kapitel
6
Lady
Millford saß bereits seit zwanzig Minuten im großen
Frühstückszimmer und wartete auf ihre Nichte. Das törichte
Ding hatte sich womöglich bei ihrer gestrigen Eskapade verkühlt.
Ein sehr unpassender Zeitpunkt für eine Erkältung, da der
Ball schon in neun Tagen stattfinden sollte. Eine Debütantin mit
roter Triefnase hatte ihr gerade noch gefehlt, da sie nun auch schon
berechnet hatte, dass das Unternehmen eine Summe kosten würde,
die sie in der jetzigen finanziellen Situation nicht mit Freude
erfüllte, zumal sie Charlotte auch noch eine entsprechende
Garderobe für den Ball und die darauf folgenden Tage mit den
Gästen finanzieren mussten. Je eher sich für Charlotte ein
betuchter Heiratskandidat finden ließ, umso besser.
Trotz
ihres wenig kleidsamen und noch unschicklicheren Auftretens gestern
hatte ihre Nichte es aber erstaunlicherweise geschafft, Lord
Battingfield zu beeindrucken, was ihnen eine überraschende
Einladung für den heutigen Abend nach Dullham Manor eingebracht
hatte. Sicher wäre es sinnvoll, wenn Charlotte Kontakt zu der
tadellosen Baronesse of Dullham bekäme. Lady Gwendolyn
Battingfield, eine geborene Wellesley, stammte aus dem englischen
Hochadel und war bestens erzogen. Wenn es durch diese Einladung
gelänge, dass sich die beiden Frauen annäherten – und
das hoffte Lady Millford inständig – könnten sie mit
hoher Wahrscheinlichkeit Nutzen daraus ziehen. Eine Freundschaft mit
Lady Battingfield und deren hochwohlgeborener Familie würde die
Bekanntschaft mit aussichtsreichen und betuchten Gentlemen nahelegen
und vielleicht würde sich Charlotte auch gegenüber einer
Frau, die mehr ihrem Alter entsprach, weniger störrisch und
eigensinnig aufführen.
Außerdem
war da ja noch Lady Wellesley, die Gattin des Earl of Mornington,
die, wie ihr Lord Battingfield mitgeteilt hatte, seit einigen Wochen
zu Besuch im Hause ihrer Tochter weilte. Möglicherweise konnte
ihr diese für den bevorstehenden Ball weitere Kontakte
verschaffen, wenn es ihr gelang, es geschickt einzufädeln und
ihr nicht unbeträchtliches Verhandlungsgeschick einzusetzen.
Vielleicht würden dadurch sogar einige Vertreter der Peers und
nicht nur der Gentry aus Dorset zu dem Ball auf Millford Hall
eingeladen werden können. Das war allerdings eine erfreuliche
Aussicht.
Endlich
erschien nun auch Charlotte im Frühstückszimmer. Mit
Erleichterung nahm Lady Millford zur Kenntnis, dass sie keinerlei
Anzeichen einer Erkältung zeigte, ja im Gegenteil eigentlich
recht gesund und frisch aussah. Sie nahm sich vor, die gestrige
unverständliche Eskapade ihrer Nichte weitgehend unkommentiert
zu lassen und bemühte sich um eine freundliche Begrüßung
der jungen Frau: »Charlotte, ich hoffe du hast wohl geruht nach
deinem anstrengenden Spaziergang gestern.«
Charlotte
war einigermaßen erstaunt. Sie hatte mit einer gehörigen
Strafpredigt gerechnet und sich bereits innerlich gewappnet, getreu
ihrem gestrigen Entschluss, die weiteren Schwierigkeiten mit ihrer
Tante mit stoisch-heldenhafter Gesinnung zu ertragen. Mit einem
stummen Nicken begann sie sich vorsichtig Tee einzuschenken, da sie
sah, dass Lady Millford bereits fertig war und wohl nur auf sie
gewartet
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