Pflicht und Verlangen
lachte sie schon wieder. »Deshalb bin ich
froh, dass meine Mutter, Lady Wellesley, nun schon seit einiger Zeit
bei uns zu Gast ist … ach, da ist sie ja schon.«
Um
Himmels willen!, dachte Charlotte indigniert, diese Frau scheint ja
ein großes Redebedürfnis zu besitzen. Die Worte rauschen
wie ein Wasserfall. Wenigstens werde ich heute Abend nicht allzu viel
zur Konversation beitragen müssen und Lady Millford wird keinen
Anlass zu Beanstandungen finden. So haben alle ihren Willen.
Sie
hatten indessen einen großen Salon betreten mit hellem,
freundlichem Interieur, dessen Luzidität noch durch die vielen
Kerzen, die angezündet worden waren, unterstrichen wurde. Auf
einer seidenbespannten französischen Récamiere thronte
eine üppige Dame von etwa sechzig Jahren, die Charlotte mit dem
dichten, bereits ergrauten Haar unter einer mächtigen Haube und
dem hellen bauschigen Kleid entfernt an eine Teekanne erinnerte. Sie
musterte die Eintretenden mit kaum verhohlener Neugier.
Die
Millfords waren von Lady Wellesley – denn um diese handelte es
sich bei der Dame zweifellos – schon begrüßt worden.
Nun hielt sie Charlotte würdevoll die Hand hin.
Charlotte
beeilte sich zu knicksen und vor der Gattin des Earl of Mornington in
vollendeter Ehrerbietigkeit das Haupt zu beugen, wie es von ihr
erwartet wurde. Die alte Dame nahm Charlottes Auftritt wohlwollend
zur Kenntnis.
» Sehr
hübsch, das Kind! Wirklich, Lady Millford, Sie hätten uns
die junge Dame nicht so lange vorenthalten dürfen.«
» Selbstverständlich
haben Sie recht, Lady Wellesley. Ich bin untröstlich, aber es
gab gewichtige Gründe. Nicht wahr, Charlotte?« Lady
Millfords Stimme verriet leichte Besorgnis.
» Oh,
ja! Ich weilte lange mit meinen Eltern im Ausland und wurde dann nach
dem überraschenden Tod der beiden, dank der umsichtigen
Vermittlung meiner Verwandten, im Institut von Mrs Longbottom in
Surrey erzogen. Die Ausbildung dort ist sehr intensiv und erfordert
viel Zeit, sodass ich den langen Weg nach Millford Hall nicht
antreten konnte.«
Lady
Wellesley rümpfte ungehalten die Nase: »Tatsächlich?
Ich habe schon immer gesagt, dass das viele Studieren für junge
Mädchen völlig überflüssig ist – und dann
auch noch in einer von diesen Schulen! Sie verpassen doch die
schönste Zeit in ihrem jungen Leben, wenn sie über den
Büchern sitzen. Für die Führung eines Hauswesens
reichen doch ein paar Kenntnisse in Arithmetik, Lesen und Schreiben,
ein wenig Allgemeinbildung und natürlich Französisch für
eine gepflegte Konversation völlig aus. Das Studieren sollte man
den Männern überlassen. Zu viel Lesen schadet doch dem
Teint. Ich bin jedenfalls mit dieser Art von Bildung mein Leben lang
bestens zurechtgekommen und habe auch meinen beiden Töchtern
eine entsprechende Bildung zukommen lassen. Völlig ausreichend,
meines Erachtens! Meine Tochter, die Baronesse, ist jedenfalls
bestens auf ihre Aufgabe vorbereitet worden. Mehr Bildung steht einer
jungen Frau doch nur an, wenn sie sich ihr Brot als Gouvernante
verdienen muss. Diese armseligen Dinger! Ich finde, es ist ungehörig
für eine Frau, einem Beruf nachzugehen.«
» Aber
manchmal nicht zu vermeiden, liebe Schwiegermutter«, warf
Captain Battingfield ein. »Nicht alle jungen Damen haben das
Glück, in eine vornehme und begüterte Familie geboren zu
werden. Es soll sogar manche geben, die freiwillig einer eigenen
Berufstätigkeit nachgehen. Und warum auch nicht?«
» Ach,
Lord Battingfield, das sagen Sie doch nur, um mich wieder einmal zu
necken. Ich kenne Sie!«, spielerisch drohte Lady Wellesley
ihrem Schwiegersohn mit dem Fächer. »Nun, lassen wir das
und begeben uns zu Tisch, nicht wahr?«
Charlotte
konnte nicht umhin, den Captain mit einem dankbaren Blick zu
streifen. Auch er hatte wie zufällig zu ihr herübergeschaut,
als man sich der Tafel zuwandte und lächelte ihr kurz beruhigend
zu. Das Verständnis in seinen Augen tat ihr wohl. Jetzt erst
nahm Charlotte auch wahr, dass noch ein weiterer Gast der Tafel
beiwohnen würde.
» Sir
Alistair und Lady Millford, Miss Brandon, ich hatte noch keine
Gelegenheit, Ihnen meinen alten Freund, Dr. Walter Banning,
vorzustellen. Er hat die Pfarrstelle von Dullham inne.«
Der
hinzugetretene ältere Herr mit leicht nach vorne gebeugten
Schultern und einer etwas zerzausten Perücke verbeugte sich und
beeilte sich, Lady Millford und Charlotte ebenfalls angemessen zu
begrüßen. In seinem von Falten durchzogenen Gesicht
blitzten dunkle,
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