Pflicht und Verlangen
freundlich blickende Augen, die einen scharfen
Verstand verrieten. Er war Charlotte auf Anhieb sympathisch und sie
freute sich, als sie feststellte, dass er zu ihrem Tischnachbar
erkoren worden war.
Captain
Battingfield hatte oben an der Tafel Platz genommen. Zu seiner
Rechten saß selbstverständlich seine Gattin, zur Linken
Dr. Banning. Lady Millford war zur Linken von Lady Wellesley gesetzt
worden und Charlotte gegenüber saß zufrieden ihr Onkel in
einem bequemen Lehnstuhl, den man extra für ihn hergeholt hatte.
Bald
hatte sich Lady Millford Lady Wellesley zugewandt und plauderte
angeregt über Angelegenheiten und neueste Nachrichten aus den
Adelshäusern. Namen fielen, die Charlotte teilweise bereits in
den Unterweisungen ihrer Tante gehört hatte, andere kannte sie
aus ihrer Zeit in Surrey, manche waren ihr aber auch gänzlich
unbekannt. Sie hielt sich im Gespräch gemäß ihrem
Vorsatz zurück, konnte sie auch nicht wirklich etwas Neues dazu
beitragen. Ihr Wort von sich aus an den Hausherrn zu richten vermied
sie geflissentlich.
Dann
aber sprach Lady Battingfield sie unvermutet an: »Ich kann mir
kaum vorstellen, was Sie in diesem Institut, wie Sie es genannt
haben, die ganze Zeit angefangen haben, meine Liebe. Ich weiß
noch, dass meine Schwester und ich uns beim Unterricht unserer
Gouvernanten immer schrecklich gelangweilt haben. Und erst der
Musikunterricht! Eine Plage! Ich danke Gott, dass von mir nun keiner
mehr erwartet, stundenlang Etüden zu üben. Einen
nutzloseren Zeitvertreib kann ich mir nicht vorstellen. Ist es Ihnen
nicht auch so ergangen?«
Charlotte
spürte, dass sie vorsichtig antworten musste. Die Haltung Lady
Millfords ließ deutlich werden, dass sie, obwohl sie weiterhin
den Ausführungen Lady Wellesleys lauschte, sehr wohl auf
Charlottes Antwort achten würde.
» Sicher,
Lady Battingfield, Etüden ermüden alle Eleven des Pianos.
Aber ich will sie nicht als notwendiges Übel bezeichnet wissen,
sind sie doch der Schlüssel zu fortgeschrittenen Fähigkeiten,
die die Vorzüge des Pianofortes erst zutage treten lassen. Ist
es nicht das einzige Instrument, das uns Gelegenheit gibt, auch im
häuslichen Kreise zumindest einer Ahnung der wunderschönen
Orchesterwerke eines Händels oder Purcell teilhaftig zu werden?
Und ist uns nicht gerade seine beeindruckende Vielfalt des Klanges
eine Anregung für so viele gute Stunden?«
Lady
Battingfield kicherte. »Oh, Miss Brandon, Sie hören sich
an wie ein Musikus. Ich darf annehmen, dass zumindest Sie fleißig
geübt haben. Nun, vielleicht können Sie uns nachher im
Salon etwas vorspielen. Wir haben ein recht gutes Instrument hier.
Zumindest sagt das mein Gatte, der Baron. Ich selbst höre so
etwas allerdings nicht. Mir ist es ein Rätsel, was Sie mit
dieser Klangvielfalt meinen, aber vielleicht gelingt es Ihnen ja, mir
nachher zu verdeutlichen, worin diese besteht. Sicher üben Sie
recht oft.«
» Zu
meinem Bedauern habe ich nicht mehr die Gelegenheit. Auf Millford
Hall haben wir zwar einen Flügel stehen, der sogar höchsten
konzertanten Ansprüchen gerecht werden könnte, aber leider
ist er seit Jahren nicht mehr benutzt worden, und so etwas nimmt
einem ein sensibles Instrument wie das Pianoforte recht übel.
Leider ist der Flügel wirklich so verstimmt, dass er nicht mehr
zu bespielen ist.«
» Ach,
ja«, brachte sich nun zum ersten Mal der Baronet, der sich
bisher zufrieden seiner Consommé gewidmet hatte, in das
Gespräch mit ein, »es handelt sich dabei um das Instrument
der Mutter von Miss Brandon. Sie war eine wahre Virtuosin auf dem
Klavier. Von uns konnte keiner Klavier spielen und ich muss zugeben,
dass ich es auch später nicht gerne hörte, wenn einer der
Gäste darauf spielte, da mir dann immer meine Schwester in den
Sinn kam, was mich betrübte. So haben wir das wertvolle Stück
recht schmählich behandelt. Die Dienerschaft hat es zwar
abgestaubt, mehr Gutes haben wir ihm jedoch nicht angedeihen lassen.
Aber Kind, wenn du es möchtest, können wir es stimmen
lassen. Das wäre doch sehr nett für den Ball, obwohl der ja
in einem anderen Raum stattfinden wird. Aber die Gelegenheit wird
sich schon ergeben, dass du etwas zum Besten geben kannst.«
Charlotte
hatte bemerkt, dass Lady Millford sich nun ganz diesem Gespräch
zugewandt hatte und auch Lady Wellesley interessiert lauschte. War
hier doch vielleicht etwas über den lang zurückliegenden
Skandal, der mit der Schwester von Lord Millford verbunden war, zu
erfahren. Charlotte
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