Pflicht und Verlangen
einen
prächtigen Blick auf Millford Hall gewährte. Im Ballsaal
eilte, wie Charlotte durch die weit geöffneten Türen
erkennen konnte, die Dienerschaft unter Arthurs gestrengem Blick hin
und her, um die letzten abschließenden Arbeiten zu verrichten.
In einem Teilbereich des Saales – man hatte nahezu den ganzen
offiziellen Bereich Millford Halls durch das Öffnen der Türen
zu einem einzigen Saal umgestaltet – legte man noch letzte Hand
an die Dekoration der Tische für die üppigen Speisen, die
zu späterer Stunde gereicht werden sollten. Auch Emmy war eine
Aufgabe in diesem Bereich zugeteilt worden. Gekleidet in die
Festlivree der Dienerschaft mit frisch gestärktem Häubchen,
weißer Schürze und mit hochroten Wangen, versuchte sie
einen Blick auf die ankommenden Gäste zu erhaschen und drohte
über ihrem Staunen ob des Glanzes ihre Pflichten zu
vernachlässigen. Eine unwillige Ermahnung eines anderen
Bediensteten holte die Säumige aber schnell in die Wirklichkeit
zurück und sie beeilte sich, ihren Aufgaben mit doppeltem Fleiß
nachzukommen. Charlotte konnte sich ein Lächeln über diese
kleine Szene nicht verkneifen.
Auch
sie hatte in steigender Aufregung, aber gehorsam, sämtliche
Verschönerungsmaßnahmen über sich ergehen lassen, ihr
neues Ballkleid angezogen, sich in die unbequemen Seidenschuhe
gezwängt und sich gemäß der Anweisung von Lady
Millford zur angegebenen Zeit in der Eingangshalle zur Begrüßung
der Gäste eingefunden. Das Ballkleid war nun gänzlich nach
Lady Millfords Anweisungen gefertigt worden. Es war ein mehrlagiges
Gewand aus apricotfarbener Seide, mit viel Chiffon und Spitze
versetzt. Wo nur irgendwo etwas Platz geblieben war, glänzten
goldene Borten. Ebenfalls goldene Bänder und eine türkisfarbene,
weiche Feder waren in Charlottes kunstvoll in Locken gedrehtes und
aufgetürmtes Haar geflochten. Betty hatte sich in den letzten
vier Stunden völlig verausgabt.
Ich
bin aufgeputzt wie ein Pfau!, dachte Charlotte innerlich seufzend und
hoffte in immer größer werdender Anspannung, dass sie sich
nicht lächerlich machen würde. Sie fühlte sich in
dieser übertriebenen Aufmachung extrem unwohl, da sie so gar
nicht ihrem Wesen entsprach. Jedoch wurden diese Bedenken durch die
eintreffenden Gäste zerstreut. Sie erntete manchen bewundernden
Blick und ihre Nervosität löste sich zusehends. Lady
Millford, ganz in ihrem Element, stellte ihr, nachdem sie ihrerseits
die Gäste unter genauester Einhaltung der Etikette begrüßt
hatte, sachkundig jeden Gast mit dem jeweiligen Rang oder Adelstitel
vor, einschließlich dessen Zugehörigkeit oder
Verwandtschaft zu anderen honorigen Familien Englands. Charlotte
bemühte sich, jeden der eintreffenden Gäste mit vollendeter
Höflichkeit und einem reizenden Lächeln zu begrüßen,
war aber nach kurzer Zeit von den vielen fremden Gesichtern und Namen
völlig verwirrt und befürchtete, bei den kommenden
Festivitäten kaum jemand mit dem richtigen Namen, geschweige
denn mit dem korrekten Adelspräfix ansprechen zu können.
Schließlich
wurde ihr ein vergnügtes Geschwisterpaar, das etwa in ihrem
Alter war, als Mary und Millicent Fortescue vorgestellt. Die beiden
wurden begleitet von ihrem Bruder Edward Fortescue, einem blassen und
unsicher wirkenden jungen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren,
der bei Charlottes Anblick zunächst errötete, um gleich
darauf zu erbleichen und dann stotternd seinen Willkommensgruß
und die besten Wünsche seiner Eltern übermittelte. Wie sich
schnell herausstellte, handelte es sich bei dem Trio um sehr
entfernte Verwandte von Sir Alistair. Die Mutter der Geschwister war
eine Cousine dritten Grades und mit einem Pfarrer verheiratet. Die
Eltern ließen sich entschuldigen, denn Mr Fortescue plagte die
Gicht und Mrs Fortescue konnte und wollte ihre übrige
beachtliche Kinderschar von acht jüngeren Geschwistern nicht
allein lassen. Die fröhlichen Schwestern waren Charlotte auf
Anhieb sympathisch und sie nahm sich vor, sich später etwas um
sie zu kümmern.
Dann
traf Captain Battingfield nebst Gattin und Lady Wellesley ein,
gefolgt von Dr. Banning und Mr Townsend. Charlotte war erleichtert,
dass es ihr gelang, ihren Wohltäter gelassen zu begrüßen
ohne zu erröten. So hatten die vielen Ermahnungen, die sie sich
in den vergangenen Tagen selbst hinsichtlich ihrer Gefühle für
Captain Battingfield erteilt hatte, glücklicherweise Wirkung
gezeigt. Die beiden Alten waren vergnügt wie zwei Schuljungen.
Beide
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