Pflicht und Verlangen
habe ich Sie im ungünstigsten Augenblick
angesprochen.« Charlotte hatte jetzt wirklich Mitleid mit dem
linkischen jungen Mann. »Haben Sie keine Lust zu tanzen?«
» Doch
schon, ich mag die Musik sogar sehr. Aber sehen Sie, leider mögen
meine Füße die Musik nicht so wie mein Kopf. Sie wehren
sich vehement gegen jede tänzerische Bewegung, sehr zum
Missvergnügen meiner Tanzpartnerinnen.« Fortescue lächelte
gequält.
Charlotte
beschloss, die Not des jungen Fortescue zu lindern. »Mr
Fortescue, da ich bisher nicht die Ehre hatte, mit Ihnen zu tanzen,
kann von Missvergnügen meinerseits nicht die Rede sein. Ich
hoffte, Sie würden mir die Ehre erweisen …?«
» Oh,
natürlich sehr gern, Miss Brandon, nichts lieber als das! Aber
sind Sie sich auch wirklich sicher?«
» Mr
Fortescue, ich höre gerade, es wird eine Allemande gegeben. Dies
ist ein recht einfacher aber schwungvoller Tanz, den ich
außerordentlich schätze. Sollten wir nicht die Gelegenheit
beim Schopfe ergreifen?«
Charlotte
bugsierte den immer noch zaudernden jungen Mann auf die Tanzfläche
und lächelte ihm aufmunternd zu. Solchermaßen ermutigt
gelang Mr Fortescue das Kunststück, ihr nur zweimal auf die Füße
zu treten. Allerdings war er von der Arbeit seiner Füße so
in Anspruch genommen, dass jegliche Konversation außer Frage
stand.
Als
er sie zurückführte – der nächste Tanz war eine
Courante, die weit mehr Geschick von den Tänzern erforderte –,
wurden sie von den beiden Schwestern mit freundlich-spöttischem
Applaus begrüßt. »Also wirklich Edward, ich bin
höchst erstaunt«, neckte ihn Mary, die ältere der
beiden, »du hast uns deine Talente als Tänzer
offensichtlich bisher vorenthalten. Du hättest ja auch wirklich
einmal mit uns tanzen können! Wir müssen immer warten, bis
wir von wildfremden Männern aufgefordert werden.«
» Das
geht mir nicht anders, Miss Fortescue und Miss Millicent«,
stimmte Charlotte lachend ein, »ich muss schon den ganzen Abend
mit wildfremden Männern tanzen.«
» Aber ich bin Ihnen doch nicht
wildfremd!«, erklang plötzlich die Stimme Captain
Battingfields hinter ihrem Rücken. Er war unbemerkt hinter sie
getreten. »Erinnern Sie sich? Sie hatten mir die Ehre eines
Tanzes versprochen.«
» Oh,
Captain Battingfield …«, Charlotte war ganz aus dem
Konzept gebracht. »Nein, das habe ich natürlich nicht
vergessen. Es ist mir eine Ehre, Mylord.«
Battingfield
reichte ihr seinen Arm und führte sie auf die Tanzfläche.
» Das Mylord lassen Sie bitte weg, Miss
Brandon, so wie wir es sonst auch halten. Außerdem sind Sie
heute die Königin des Balls und ich bin Ihr ergebener Diener, so
wie sämtliche Gentlemen hier. Sie sehen, Sie verfügen heute
Abend über große Macht. Mr Fortescue eben war ja ganz
verzaubert von Ihnen.«
» Sie
machen sich über mich lustig, Captain. Tatsächlich ist mir
die Rolle der Ballkönigin nicht gerade auf den Leib
geschneidert, im Gegensatz zu meinem Ballkleid, das eher den
Geschmack meiner Tante als meinen eigenen befriedigt«,
antwortete Charlotte und begann, sich schon wieder über sich
selbst zu ärgern. Das war eben wirklich ein unentschuldbarer
Fauxpas von ihr gewesen. Wie konnte sie ihm gegenüber nur so
etwas äußern? Lag ihr womöglich daran, ihm zu
gefallen? Charlotte schluckte nervös. Sie war doch sonst nicht
so wenig Herrin ihrer Gefühle! Sie musste das nun wirklich
umgehend unterbinden! Charlotte haderte weiter mit sich selbst,
während die Paare sich im Tanz auseinanderbewegten. Wieso, um
Himmels willen, erzählte sie ihm, was sie über ihr
Ballkleid dachte? Das war doch völlig unpassend und überdies
wirklich ungehörig.
Da
war ihr Tanzpartner wieder herangekommen. »Miss Brandon, ich
versichere Ihnen, Sie sehen zauberhaft aus, obwohl ich Ihnen
dahingehend recht gebe, dass das Kleid, das Sie neulich bei uns zum
Dinner trugen, Ihre unbestreitbaren Vorzüge noch besser zur
Geltung brachte.« Der Captain hatte ihre Hand ergriffen und
drehte sich mit ihr im Kreis. Er war ein guter Tänzer.
» Ich
danke Ihnen für das freundliche Kompliment, wenn ich es Ihnen
auch nicht ganz glauben mag«, wehrte Charlotte ab.
» Schade!«,
befand Battingfield und schüttelte in gespieltem Bedauern
bekümmert das Haupt. »Es war nämlich, und das
versichere ich hiermit feierlich, mein voller Ernst.«
Charlotte
wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte und zog es vor zu
schweigen.
Ihr
Tanzpartner wechselte galant das Thema, als er ihre
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