Pflicht und Verlangen
ihre Anspannung
verbergend, ließ sie sich vor den Augen der erwartungsvollen
Menge am Klavier nieder, atmete noch einmal tief durch und begann zu
spielen.
Das
Instrument war wunderbar. Die Töne perlten durch den Raum und
verzauberten die Anwesenden ebenso wie Charlotte, die ihre Finger
flink über die Tasten gleiten ließ. Fehlerfrei trug sie
das gewählte Repertoire mit virtuoser Leichtigkeit vor.
Angesichts des hervorragenden Instrumentes auch wenig verwunderlich,
dachte sie. Der Flügel war ein wahrer Genuss! Noch nie war es
ihr vergönnt gewesen, auf einem so königlichen Pianoforte
vorzutragen. Das Publikum war ebenfalls überaus angetan und
spendete begeistert Beifall. Da fiel Charlottes Blick auf Mr Terency,
der gut sichtbar einen recht großen Raum in der überfüllten
Runde für sich beanspruchte. Gnädig ließ er Charlotte
den verdienten Beifall zukommen, nur um sich dann zu räuspern
und seine Stimme zu erheben, sodass alle ihn hören konnten.
» Sie
spielen ja wirklich entzückend, für eine Frau wohlgemerkt.
Mir scheint die Wahl der Stücke aber doch recht konventionell
und vorsichtig. Und ich habe darüber hinaus den Eindruck, Sie
verbergen Ihre Fähigkeiten vor uns und wollen uns höheren
Genuss nicht gönnen. Das ist aber nicht nett von Ihnen!«
Spöttisch tadelte er sie mit erhobenem Finger. »Ich bin ja
erst kürzlich aus Europa zurückgekehrt und hatte
Gelegenheit, in Wien dem Konzert eines wahrhaften Meisters der Musik
beizuwohnen. Es handelt sich um einen gewissen Leonhardt, nein,
Ludwig van Beethoven. (14) Kennen Sie sein Werk?«
Einige
der Zuhörer schüttelten verwirrt den Kopf. Von einem
Beethoven aus Wien hatte man in Dorset noch nichts gehört.
Ausgerechnet
Beethoven! Charlotte kannte dessen Werk allerdings und war eine
glühende Bewunderin seiner hervorragenden Klavierwerke, die der
Musik eine völlig neue Richtung wiesen, weg von der noch eher
strengen Regelhaftigkeit eines Händel – den sie schätzte,
aber nicht liebte – hin zu einer oft nahezu ekstatischen
Betonung der Empfindung in der Musik. Damit entsprach ihr dieser
Komponist aus ganzem Herzen. Für diesen Anlass aber war
Beethoven eine extrem ungünstige Wahl. Das anwesende Publikum
würde von einer solchen Darbietung sicher eher verschreckt
werden.
» Ah,
Miss Brandon, ich sehe an Ihrem Blick, dass Sie ihn kennen. Nein,
widersprechen Sie nicht!« Mr Terency schien die Situation
wieder einmal außerordentlich zu genießen. Alle Augen
waren auf ihn gerichtet, als er Charlotte nun aufforderte: »Meine
liebe Miss Brandon, es würde mich doch interessieren, ob ich Sie
richtig eingeschätzt habe und Sie das Werk dieses
außerordentlichen Musikers und Komponisten zu meistern
vermögen. Das edle Instrument hier hätte es auf jeden Fall
verdient.«
Charlotte
begann, sich zu ärgern. Was für ein eingebildeter Laffe!,
durchfuhr es sie. Sie entschied, trotz der Wünsche ihrer Tante
zu widersprechen: »Mylord, ich glaube, wir haben doch für
heute Abend genug gehört und wollen nun lieber wieder zum Tanz
hinuntergehen. Auch ist etwas für das leibliche Wohl vorbereitet
worden.«
» Miss
Brandon, aber ich glaube fast, Sie wollen sich zieren …«,
Mr Terency grinste spöttisch und schien nicht gewillt, sie aus
seinen Fängen zu entlassen. Da räusperte sich Lady Millford
vernehmlich neben Charlotte und gab ihr mit einem energischen
Kopfnicken unmissverständlich zu verstehen, dass Charlotte
gefälligst spielen sollte, was der hohe Gast verlangte.
Dieses
Ansinnen ihrer Tante konnte nur der völligen Unkenntnis dessen
entspringen, was sie erwartete, wenn Charlotte nun Beethoven zum
Vortrag brachte. Doch ihre flehentlichen Blicke hatten
erwartungsgemäß keinen Erfolg. Schließlich zuckte
Charlotte ergeben mit den Schultern und kündigte an, einen
Auszug der Appassionata, einer der Sonaten für Hammerklavier von
Beethoven, zu Gehör bringen zu wollen.
Dann
begann sie. Die mächtigen, einleitenden Akkorde donnerten wie
eine plötzliche Sturmfront durch den Raum, was einige der
Zuhörer erschreckt die Augen aufreißen ließ. Daraufhin entfaltete sich unter den flink dahineilenden
Fingern Charlottes eine wogende See aufwühlend-drängender
Läufe und Tonkaskaden, sich in wildem Tanz gegenseitig
überbietend und durchpflügt von stürmischem
Aufbegehren und verzweifelter Qual. Nicht umsonst hatte dieses so
eigenwillige Werk des Meisters den Beinamen »die
Leidenschaftliche« verliehen bekommen. Zudem war Charlotte
ehrlich erbost und
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