Pflicht und Verlangen
sich.
»Selbstverständlich werde ich unter diesen Umständen
hierbleiben und sehen, ob ich etwas für Ihre Frau tun kann.
Vielleicht freut sie sich über meine Gesellschaft?«
» Nein,
bleiben Sie bitte, Miss Millford. Gwendolyn trug mir eben auf, Ihnen
zu sagen, dass wir deswegen keinesfalls auf unser Vorhaben verzichten
sollen. Sie macht sich ohnehin nicht allzu viel aus dem
Observatorium. Ich habe ebenfalls den Eindruck gewonnen, der mir auch
von ihrer Zofe bestätigt wurde, dass es sich nur um eine
leichte, unwesentliche Erkrankung handelt.« Er zögerte
einen Augenblick, unsicher, ob er sein Anliegen vorbringen dürfe.
»Wenn es Ihnen recht ist, Miss Millford, können Sie die
Wanderung auch mit mir und Dr. Banning antreten und somit dem
ausdrücklichen Wunsch meiner Gattin nachkommen.«
Charlotte
bemerkte, dass er sie dabei fast schüchtern ansah und musste
lächeln. »Ich muss zugeben, dass ich doch sehr enttäuscht
wäre, wenn mir dieses außerordentliche Abenteuer entgehen
würde. Ich platze fast vor Neugier auf das Teleskop und den Bau
des Observatoriums. Ich hatte bisher noch nie die Möglichkeit,
mit einem so modernen Instrument den nächtlichen Himmel zu
beobachten … und wer weiß, ob sich die Gelegenheit noch
einmal ergibt?«
Auf
Battingfields Gesicht breitete sich bei diesen Worten ebenfalls ein
Lächeln aus. »Also, dann sollten wir schnell unseren Tee
zu uns nehmen und uns, sobald Walter eintrifft, auf den Weg machen.«
Sie
setzten sich, nachdem die veränderte Lage nun ausreichend
erwogen und geklärt war, an die bereits wartende Tafel und
begannen, sich den Speisen und dem herrlich duftenden heißen
Tee zu widmen. Während des Mahls erkundigte sich Charlotte
neugierig nach den Forschungen, die Captain Battingfield bisher auf
astronomischem Gebiet schon angestellt hatte. Dieser beantwortete
gerne und in anschaulichen Schilderungen der Reisen, auf denen er
seine Beobachtungen gemacht hatte, die Fragen seiner Zuhörerin
und beeindruckte sie mit seiner großen Sachkenntnis. Die
nächste halbe Stunde verging wie im Fluge. Dr. Banning war immer
noch nicht eingetroffen, was aber von den beiden Ausflugswilligen
kaum bemerkt wurde. Sie waren zu sehr in ihr Gespräch versunken.
Charlotte
hatte sich eben von den Scones genommen, als Cyril mit einem
zusammengefalteten Zettel auf einem silbernen Tablett eintrat und ihn
seinem Herrn überbrachte. Dieser faltete die Notiz auseinander
und las sie mit gerunzelter Stirn. Dann wandte er sich an Charlotte:
»Diese Nachricht ist von Walter. Ein alter Mann aus der
Gemeinde ist ernsthaft erkrankt und benötigt geistlichen
Beistand. Jedoch bittet uns Walter, schon vorauszugehen. Er wird
nachkommen, sobald er kann. Er schätzt, dass ihn seine
Verpflichtungen etwa eine Stunde aufhalten werden, möchte sich
aber den Ausflug auch nicht entgehen lassen. Wie es aussieht, scheint
unser Vorhaben unter einem ungünstigen Stern zu stehen. Sollen
wir es dennoch wagen?«
» Ich
denke, wir haben uns schon entschieden, nicht wahr?«, erwiderte
Charlotte nach kurzer Überlegung. »Dr. Banning wäre
sicher enttäuscht, wenn wir nicht gehen würden.«
» So
sehe ich es auch. Walter kennt den Weg gut und wird uns sicher bald
einholen. Dann sollten wir jetzt aber wirklich ohne weitere
Verzögerung aufbrechen. Es ist ein strammer Marsch bis dorthin
und ich möchte nicht in die Dunkelheit geraten. Der Aufstieg zum
Hügel ist, da Sie ihn nicht gewohnt sind, in der Dämmerung
vielleicht zu gefährlich.«
» Captain,
Sie sollten meine Geländetauglichkeit nicht unterschätzen.
Ich kann klettern wie eine Bergziege. Aber Sie haben recht, lassen
Sie uns aufbrechen, solange uns die Sonne noch etwas wärmt«,
fügte sie mit einem gewinnenden Lächeln hinzu, als sie
bemerkte, dass ihr Gegenüber befürchtete, sie gekränkt
zu haben.
******
Das
weit ausladende Tal, in dem Dullham Manor eingebettet lag, war eine
wirkliche Augenweide. Charlotte atmete tief durch und ließ
ihren Blick schweifen, als ihr Begleiter dicht neben sie trat und mit
der Hand nach Westen wies. »Dort drüben auf der Anhöhe
liegt unser Ziel. Sehen Sie das kleine Gebäude mit der Kuppel?
Das ist es.«
Charlotte
schützte ihre Augen mit der flachen Hand gegen die schon tief im
Westen stehende Sonne. In einiger Entfernung entdeckte sie das
betreffende Bauwerk, wandte sich aber geblendet schnell dem in weiter
Ferne liegenden Meer zu. Die umfangreichen Ländereien endeten an
einer steil abfallenden, weit geschwungenen
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