Pflicht und Verlangen
Bucht.
» Es
ist wunderschön hier!«, seufzte sie mit aus tiefstem
Herzen kommender Überzeugung. »Dabei ist die Natur noch
kaum erwacht aus der Winterstarre. Wie schön muss Dullham Manor
im Sommer sein, wenn diese Wiesen und Bäume alle in vollem Saft
stehen!«
John
Battingfield sah sie mit einem seltsamen Blick an und nickte dann.
»Ja, ich liebe dieses Fleckchen Erde mehr als alles andere,
obwohl ich viele schöne und exotische Orte gesehen habe. Aber
nichts kommt dem hier gleich«, er breitete seine Arme aus, als
wolle er die Natur mit all ihren Pflanzen und Tieren umfangen.
» Wieso
entschieden Sie sich eigentlich für die Marine?«, wollte
Charlotte daraufhin wissen. »Sie scheinen Ihre Heimat sehr zu
lieben und blieben ihr doch auf Jahre fern?«
Battingfield
zögerte eine Weile, bevor er antwortete: »Sie vermuten
richtig. Marineoffizier war nicht mein Berufswunsch, sondern vielmehr
der meines Vaters. Sehen Sie, die Marine hat eine lange und
ehrenvolle Tradition in der Familie der Battingfields, und obwohl
mein Vater nie zur See fuhr, bestand er darauf, dass sein ältester
Sohn eine Karriere bei der Marine einschlug. Ich selber hätte
die Laufbahn eines Wissenschaftlers vorgezogen, aber davon wollte
mein Vater partout nichts wissen. Ehre und Ansehen waren ihm fast so
wichtig wie die Mehrung des Familienvermögens.« Es war für
Charlotte nicht zu überhören, dass in seinen Ausführungen
eine gewisse Bitterkeit mitschwang.
» Ich
nehme doch aber an, dass Ihnen Ihr Beruf ausreichend Befriedigung
bereitete, sonst hätten Sie ihn sicher nicht so gewissenhaft und
viele Jahre lang ausgeübt?«
» Sagen
wir, ich habe mich mit der Zeit arrangiert. Als Kapitän eines
größeren Schiffs macht es viel Freude, das weite Meer zu
bereisen und exotische Länder zu sehen. Allerdings ist das Leben
in der Marine sehr rau und weit weniger romantisch, als es uns die
heroischen Schlachtengemälde weismachen wollen.« Er lachte
kurz und sarkastisch auf: »Weiß Gott, viele Seeleute in
der Marine Seiner Majestät haben den Tag verflucht, als sie den
Kontrakt unterschrieben. Und viele von ihnen tun das ja nicht einmal
freiwillig. Der Marine sind die Bürgerrechte herzlich
gleichgültig. (24) Sicher haben Sie keine Vorstellung von einer
Seeschlacht. Unser Land ist mit Recht stolz auf seine Siege und
feiert seine Helden, allen voran den großen Admiral Nelson.
Auch ich war in Trafalgar und weiß leider nur zu genau, was
dort stattfand. Es war grauenvoll, so viele Tote! (25) Auch in vielen
darauf folgenden Schlachten tat ich Dienst. Ich sah viele Schiffe
untergehen. Freund und Feind ertranken jämmerlich wie die
Ratten, während unter Deck die Todgeweihten nach ihren Müttern
schrien.«
Charlotte
sah ihn fragend an und forderte den Captain dadurch auf
weiterzusprechen. Die Ereignisse während der blutigen Schlacht,
die er ihr nun knapp und fast widerstrebend schilderte, schienen noch
sehr lebendig in seiner Erinnerung zu sein. Am meisten belastete ihn
aber offensichtlich das Schicksal der Männer, für die er
verantwortlich gewesen war. Wie viele waren auch auf britischer Seite
gefallen oder schwer verwundet worden. »Nach diesen armen
Teufeln fragt niemand mehr nach einer gewonnenen Schlacht«,
bemerkte er abschließend mit Bitternis in den Augen, »Und
obwohl man mich damals für besonders tapfer hielt, ging es mir
doch nur darum, so viele Leben wie möglich in diesem Wahnsinn zu
retten. Doch wer kümmert sich um die Witwen und Waisen, die
Englands Gier nach der Herrschaft über die Meere heute
hervorbringt, wer um das Heer der nutzlosen Krüppel? Es ist mir
nie gelungen, dies zu verdrängen. So war ich sehr froh, zur
Bewachung der Handelsrouten abkommandiert zu werden, wo man zwar
immer wieder in Scharmützel und auch schwerere Kämpfe
verwickelt wird, aber dem Kriegsgeschäft nicht zu sehr huldigen
muss. Obwohl ich mir in den Augen meiner Vorgesetzten Ruhm erwarb,
habe ich die Schlachten nie geliebt.«
Der
Captain bemerkte mit einem Mal, dass seine Zuhörerin verstummt
war. »Verzeihen Sie, Miss Millford, ich habe mich vergessen.
Ich sollte nicht so gegenüber einer jungen Dame sprechen.«
» Und
warum sollten Sie das nicht?«, fragte Charlotte mit warmer
Stimme. »Sie erstaunen mich einmal mehr, Captain Battingfield.
Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so kritisch über Ihren
Beruf urteilen, gleichwohl ich Ihre Einschätzung uneingeschränkt
teile. Ein Heldenepos ist schnell bewundert. Wer könnte das
besser beurteilen
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