Pflicht und Verlangen
Obwohl sie sich in ihrem tiefsten
Inneren sicher war, dass es ihr gottgegebenes Recht darstellte, ihre
Fähigkeiten zu entwickeln, hatte sie bisher keinen Raum
gefunden, in dem sie es sich hätte gestatten dürfen.
Diesen
Raum gewährte ihr jetzt überraschenderweise John
Battingfield, indem er sie in ihrem Forscherdrang und
leidenschaftlichen Interesse bestärkte und durch seine Fragen
antrieb. Und – sie staunte immer wieder darüber – er
schien sie dafür eher noch mehr als weniger zu schätzen. So
dankbar sie auch Dr. Banning für seine hilfreichen Besuche war,
bei denen er ihr oft ergänzende Nachschlagewerke mitbrachte und
mit ihr das weitere Vorgehen plante, so wurde doch das lebendige
Interesse des Captains immer mehr zu ihrer eigentlichen Triebfeder.
Charlottes
Tage waren zum Bersten gefüllt mit rastloser Tätigkeit. Oft
saß sie den größten Teil des Tages im Lagerraum, wo
sie sich bei den noch kühlen Temperaturen des Vorfrühlings
auf die schwierige Suche nach den in den Listen aufgeführten
Fundstücken machte, brütete dann bis spät in die Nacht
über den Tagebüchern und Grabungsnotizen ihres Vaters in
der Bibliothek von Dullham Manor und übertrug die Schriften
anschließend ins Reine. In den wenigen Pausen, die sie sich
gönnte, wurde sie in der Regel von Lady Battingfield mit
Beschlag belegt, die darüber klagte, dass Charlotte sich nicht
stärker in das Ballvorhaben einbrachte, wie sie es ihr doch
versprochen hatte.
Es
konnte deshalb nicht ausbleiben, dass Dr. Banning an einem seiner
Besuchstage beim Dinner tadelnd bemerkte: »Sie arbeiten
wirklich zu viel, Miss Millford! Sie sehen ja schon ganz blass aus
und schlafen fast über Ihrem Roastbeef ein. Ihr Eifer in allen
Ehren, aber Sie müssen mit Ihren Kräften haushalten, mein
Kind. Ich denke, Sie sollten ein paar Ruhetage einlegen.«
» Oh
ja!«, pflichtete Lady Battingfield sofort bei. »Das wäre
wirklich wünschenswert. Dann könnten wir uns endlich an den
Entwurf meines Ballkleides machen, anstatt dass Sie sich den ganzen
Tag in diesen langweiligen, schimmeligen Büchern und Tontöpfen
vergraben. Ich habe mir schon einige Stoffe kommen lassen und hätte
gerne Ihre Meinung gehört.«
» Liebe
Lady Battingfield«, unterbrach Dr. Banning die Übereifrige,
die sich schon in weiteren Beschreibungen der fraglichen Stoffe
ergehen wollte, »sicher würde Miss Millford nichts lieber
tun, als Ihnen bei dieser zweifellos wichtigen Aufgabe mit Rat und
Tat zur Seite zu stehen, aber mir scheint, sie braucht eher
ausgiebigen Schlaf und einen schönen, langen Spaziergang an der
frischen Luft. Haben Sie denn schon etwas von Dullhams Ländereien
gesehen oder gar Johns kleines Juwel, das private Observatorium auf
den westlichen Hügeln, Miss Millford?«
Mit
einem Schlag war Charlotte wieder hellwach. »Sie haben ein
Observatorium hier?«
» Allerdings!«,
bestätigte der Captain nicht ohne Besitzerstolz. »Der
Astronomie gilt mein besonderes Interesse. Eigentlich auch nicht
weiter verwunderlich, da ich viele Jahre auf See verbrachte. Ich
denke, jeder Seemann wird mir beipflichten: Nichts kommt dem
Firmament über den Ozeanen gleich, wenn der nächtliche
Himmel wie von Tausenden Juwelen erhellt wird und sich mit dem
Vordringen des Schiffs in unbekannte Gewässer immer neue
Sternbilder am Horizont offenbaren, von denen viele noch nicht einmal
einen Namen tragen. Aber abgesehen von diesen romantischen Aspekten
der Seefahrt müssen sich Kapitäne auch schon wegen der
navigatorischen Aufgaben ausführlich mit dem Sternenhimmel
beschäftigen und so ist die Astronomie eine von der Marine
außerordentlich geschätzte und geförderte
Wissenschaft. Da ich während meiner Dienstzeit zu einem kleinen
Forschungszirkel in diesem Kreis gehörte, darf ich mich
glücklich schätzen, eines der vom großen Herschel
(23) konstruierten und mit seiner revolutionären Spiegeltechnik
bestückten Teleskope zu besitzen.«
Charlotte
war sprachlos. »Sie haben tatsächlich eines der Teleskope
von William Herschel hier auf Dullham Manor?«
Battingfield
freute sich sichtlich über Charlottes brennendes Interesse. »Ja,
ich erhielt es durch die freundliche Vermittlung von Admiral Linley,
der die Herschels persönlich noch aus ihrer Zeit in Bath kennt,
und ließ daraufhin auf einem der Hügel Dullhams ein
Observatorium errichten. Das Teleskop ist ein kleineres Exemplar, in
etwa so groß wie das, mit dem Mr Herschel den Uranus entdeckte.
Allerdings ist es nicht mein Ehrgeiz, neue
Weitere Kostenlose Bücher