Pflicht und Verlangen
übersehen.
» Ich
schlage vor, Sie schlafen sich in den nächsten Tagen einmal
gründlich aus. Das Einzige, was ich Ihnen gestatten möchte,
ist gutes Essen und die ausschließliche Beschäftigung mit
entspannenden Dingen wie Spazierengehen im Garten und Musik. Arbeiten
ist verboten! Haben Sie mich verstanden, Miss Millford?«
Dr.
Banning hatte mit gespielter Strenge gesprochen, was Charlotte zum
Lachen brachte. »Voll und ganz, Sir!«, erwiderte sie
deshalb mit leicht übertriebener Zackigkeit, um dann ernster
hinzuzusetzen: »Es ist nur … ich möchte die
Gastfreundschaft, die mir hier auf Dullham Manor so überaus
großzügig gewährt wird, nicht über Gebühr
strapazieren. Außerdem habe ich das Bedürfnis, meine
Arbeit so schnell wie möglich fertigzustellen, um Lady Millford
nicht zu verärgern. Sie ist nicht sehr glücklich darüber,
dass ich so viel Zeit auf die Sache verwende.«
» Aber
liebste Miss Millford, wo denken Sie hin? Sie sind uns doch keine
Last, nicht wahr, mein Lieber?«, warf Lady Battingfield sofort
ein und erntete damit einen der seltenen Momente vollkommener
Zustimmung ihres Gatten. »Ganz im Gegenteil, ich bedaure es
außerordentlich, dass Sie nicht mehr der Muße zugeneigt
sind. Gerne würde ich mehr mit Ihnen plaudern und spazieren
gehen. Deshalb sollten wir vielleicht übermorgen eine Wanderung
zum Observatorium unternehmen, für das Sie sich ja sehr
interessieren, was mir ehrlich gesagt ganz unerklärlich ist. Ich
versichere Ihnen, viel ist da nicht zu erleben, aber die Aussicht von
den Hügeln ist ganz entzückend.«
» Das
ist eine hervorragende Idee«, pflichtete nun auch der Captain
bei, »zumal sich die Wetterlage in den letzten Tagen etwas
verbessert hat. Wir könnten uns Verpflegung und Decken ins
Observatorium bringen lassen und dort eine Nacht mit Beobachtungen
verbringen. Ich hoffe, du schließt dich uns an, Walter?«
» Aber
von Herzen gern!«, stimmte dieser begeistert zu. »Meine
Predigt für Sonntag habe ich bereits geschrieben, deshalb steht
einer solchen Unternehmung nichts entgegen.«
Das
Tischgespräch kreiste für den Rest des Abends um die
Planung des Vorhabens. Einige Bedienstete sollten vorausgeschickt
werden und für Bequemlichkeit, ein hübsches Kaminfeuer und
das leibliche Wohl sorgen, bis die Gesellschaft eintreffen würde.
Der Platz im Observatorium war zwar nicht üppig bemessen, aber
ein paar provisorische Liegen und einige bequeme Sitzgelegenheiten
waren vorhanden, sodass der nächtliche Aufenthalt von vier
Personen ohne Weiteres möglich war. Die Wanderung würde
ungefähr zwei Stunden in Anspruch nehmen, und so beschloss man,
am vereinbarten Tag nach einem vorgezogenen Tee aufzubrechen.
Kapitel
16
Es
schlug bereits halb drei und Lady Battingfield war immer noch nicht
zum Tee erschienen. Captain Battingfield wanderte mit wachsender
Verärgerung vor dem geschmackvollen, mit weißem Marmor
eingefassten Kamin im Teezimmer auf und ab, während sich
Charlotte schweigend einem Gedichtband widmete, den sie kürzlich
in der Bibliothek entdeckt hatte. Nach weiteren zehn Minuten und
ungefähr dreißig Runden fasste der Captain mit
unergründlicher Miene den Entschluss, dem Ausbleiben seiner
Gattin auf den Grund zu gehen und verließ mit schnellen
Schritten den Raum.
Charlotte
blieb allein zurück. Auch sie wunderte sich über Lady
Battingfields Abwesenheit. Tags zuvor hatte diese noch sehr fröhlich
von der bevorstehenden Wanderung zum Observatorium gesprochen und
schien auch sonst bester Laune zu sein. Sie hatte Charlotte während
ihres gestrigen Ruhetages Gesellschaft geleistet. Manchmal hätte
sich diese etwas mehr Ruhe und weniger vom wasserfallartig
rauschenden Geplauder ihrer Gastgeberin gewünscht, wusste aber,
was sie der Herrin des Hauses schuldig war. Was mochte Lady
Battingfields unverständliches Fehlen verursacht haben?
Kurze
Zeit später kehrte der Captain wieder zurück. »Meine
Gattin lässt sich entschuldigen«, erklärte er der
erstaunten Charlotte. »Sie fühlt sich plötzlich recht
unwohl und klagt über Kopfschmerzen und Übelkeit, meint
aber, es sei vermutlich nichts Ernstes. Ihre Zofe ist gerade bei ihr
und macht ihr kühlende Umschläge. Allerdings möchte
sie unter diesen Umständen verständlicherweise doch auf die
anstrengende Wanderung und eine durchwachte Nacht unter wenig
komfortablen Umständen verzichten.«
» Ich
nehme an, der Besuch des Observatoriums fällt damit aus«,
erwiderte Charlotte etwas enttäuscht und erhob
Weitere Kostenlose Bücher