Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
Viktoria für den darauffolgenden Tag zum Essen
ein.
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Möller fühlt sich müde, müde, wie
schon lange nicht mehr.
Auf dem
Weg nach Küsnacht lässt er den Tag Revue passieren.
Die vielen
Vernehmungen haben seinen Kopf mit Informationen gefüllt und viele Fragen aufgeworfen.
Noch kommen keine Fäden zusammen und zeigt sich kein klares Muster. Es fehlt eine
eindeutige Spur, die er verfolgen könnte. Doch die Wandtafel im fünften Stock des
Polizeigebäudes füllt sich mit Daten und Hypothesen.
Das Beschwerliche
an seiner Arbeit ist, so findet er, dass Ermittlungen zum größten Teil aus Büroarbeit
bestehen, aus der Auswertung von Sachbeweisen, dem Schreiben von Gedächtnisstützen
und den Vernehmungen von Zeugen, Auskunftspersonen und Tatverdächtigen.
Für viele
seiner Kollegen ist das Offensichtliche das Wahrscheinliche. Er dagegen hat sich
als Querdenker angewöhnt, die Lösung hinter dem Sichtbaren und dem Augenscheinlichen
zu suchen. Vielleicht ist deshalb seine Aufklärungsrate so hoch.
Obwohl es
ihm lieber wäre, wenn Viktoria sich ganz aus dem Fall heraushalten würde, muss er sich eingestehen, dass ihre Fragen
ihm helfen, die vielen Daten in seinem Gedächtnis einzuordnen. Seit er ihr in Ägypten
wiederbegegnet ist, hat sich sein Leben schlagartig verändert.
36
Möller überprüft Viktorias Adresse
ein zweites Mal.
Sie wohnt
tatsächlich hier, denkt er erstaunt.
Er betrachtet
die Liegenschaft, ein zweistöckiger Sichtbeton-Kubus mit Flachdach. An dieser exzellenten
Hanglage sicher nicht ganz billig, überlegt er. Der großzügige Bau präsentiert sich
schlicht mit einer komplett verglasten Fassade zur Seeseite hin. Vier Wohnungen,
zwei auf jedem Stockwerk. Er mustert die Briefkästen. Viktoria scheint in der oberen
Etage zu wohnen.
Was für
ein krasser Gegensatz zu ihrem früheren Haus im Oberholz. Er sieht das alte Flarzhaus
vor sich, das sie von einer Einheimischen gekauft hatte und das vom Schwellbalken
bis zum Schindeldach aus Holz gebaut war.
Viktoria öffnet ihm die Türe mit
einem gewinnenden Lächeln. Sie führt ihn in ihre Wohnung, wo er sie in den Arm nimmt.
Wie gut sie sich anfühlt. Er streicht mit seinen Händen über ihren Rücken, fühlt
ihren weichen Kurven nach. Es erregt ihn, wie sie sich an ihn schmiegt und ihre
Lippen mit den seinen verschmelzen. Er möchte dieser Frau geben, was er noch nie
einer Frau gegeben hat. Er möchte sehen, wie sie mit Liebe überfließt, mit seiner
Liebe.
»Komm«,
er nimmt sie bei der Hand und lotst sie zur roten Ledercouch, die ihm bekannt vorkommt.
»Würdest du für mich tanzen? Ich habe es mir all die Monate immer wieder vorgestellt.«
Ihre Augen
blitzen vergnügt auf, als sie sich aus seinen Armen befreit. »Siehst du nicht, dass
ich am Kochen bin?«
»Bitte«,
fleht er.
Ihre Lippen
kräuseln sich zu einem Lächeln.
Während er es sich auf dem Sofa
bequem macht, dimmt sie das Licht und zündet eine Kerze an. Das Jazz-Stück, das
sie auflegt, ist ganz nach seinem Geschmack. Alles erinnert ihn an die Nacht, als
sie sich zum ersten Mal liebten.
Viktoria beginnt zu tanzen.
Er schaut
gebannt zu, wie sich ihre sinnliche Gestalt zum wehmütigen Klang des Saxophons wiegt.
Ihre Arme winden und schlängeln sich geschmeidig, und ihr Kopf wippt, als trügen
ihn Wellen. Sie tanzt auf ihn zu, lockt ihn mit ihrem Körper. Doch als er nach ihr
greifen will, verlässt sie ihn und entzieht ihm ihre Aufmerksamkeit.
Ihre Bewegungen
sind fließend, mal langsam, mal wild. Er bewundert ihre Hingabe, die sie beim Tanzen
zum Ausdruck bringt. Es kommt ihm so vor, als fülle sich der Raum mit ihrem Duft.
Während er ihr mit seinen Augen fasziniert folgt, kommt endlich auch sein Kopf zur
Ruhe.
Eines Tages
werde ich mit ihr tanzen, schwört er sich. Sie wird mich lehren, die Kontrolle zu
verlieren.
Als habe
sie seine Gedanken erraten, bewegt sie sich auf ihn zu und streckt ihm ihre Hand
entgegen.
Doch er
beschwört sie, weiter zu tanzen. In seinen Adern kocht das Blut, als er sieht, wie
sie ihre Hüllen zu Boden gleiten lässt. Sie tänzelt auf ihn zu und lockt ihn mit
Berührungen. Er springt auf.
»Wir haben
einiges aufzuholen«, raunt sie ihm zu. »Aber leicht werd’ ich es dir nicht machen.«
Er reißt
sich die Kleider vom Leib und lässt sie die Kraft seines Begehrens spüren.
Unerschrocken
ihm zugewandt schenkt sie ihm ihren Widerstand.
Enger, immer
enger umkreist er sie, ihre Fluchtversuche erahnend.
Später liegt sie
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