Pforten der Hoelle
Nacht.
Und um ihn her nur das Säuseln des eisigen Windes - - und das knirschende Reißen von Leder und Kunststoff! Dash Ro-ons Abenteuer schien zu Ende, noch bevor es sich wirklich gelohnt hatte, dafür zu sterben.
* Im Gegensatz zu ihrer Schwester wußte May Dorn sehr genau, was in New York nach dem Eingreifen der Asiatin weiter geschehen war und wie sie schließlich hierhergebracht worden waren.
Wie Tiere!
Zumindest May fühlte sich so behandelt. Die Sicherheitsvorkehrungen und die Präzision des Transports hatten den Verdacht nahegelegt, es würde ein hochgefährlicher Schwerverbrecher von einer Verwahranstalt in eine neue, modernere gebracht.
In der kurzen Zeit ihrer eigenen Bewußtlosigkeit war May zu einem Paket verschnürt worden - mit Ledergurten, Ketten und einer schallundurchlässigen Gesichtsmaske. Daß sie durch die Maske Luft holen konnte, erschien ihr wie ein kleines Wunder.
Ihr Abtransport war zunächst mit einem Kastenwagen erfolgt, später dann waren sie in den Gepäckraum eines Flugzeug (gewiß keiner Linienmaschine!) verladen worden, um nach einer endlos langen Reise wieder auf vier Rädern weitertransportiert zu werden. Der abschließende Teil ihres elenden Leidensweges war der absonderlichste gewesen: mittels eines geradezu vorsintflutlichen Aufzugs waren sie auf den Gipfel eines Berges verbracht worden, wo man May schließlich von April getrennt und in ein Kerkerloch geschleift hatte, freilich noch immer verschnürt und angekettet.
Und hier lag sie nun, regungslos, stumm - und zunehmend auch apathisch. Ihr Zorn, der vielleicht doch nichts anderes gewesen war als Angst, hatte sich gelegt. Mit jeder Stunde, die ereignislos verstrich, war ein Stückchen mehr von diesem eisigen Etwas weggeschmolzen, und nun war kaum mehr etwas davon übrig. Taubheit in allen Sinnen war an seine Stelle getreten. Sehr groß, fand May, konnte der Unterschied zwischen ihrem jetzigen Zustand und endgültigem Tod nicht sein.
Fast sehnte sie den Tod sogar herbei. Dann wäre ihr wenigstens auch noch die Mühe des Denkens abgenommen worden. Denn Denken war das einzige, zu dem sie noch fähig war, aber sie empfand es zunehmend als Fluch. Weil jeder Gedanke ihr wie Selbstgeißelung vorkam.
May begann sich dafür zu hassen, daß sie April so übel mitgespielt hatte. Sie hätte auf die Schwester hören sollen. Vielleicht wäre es ihnen gelungen, irgendwo ein neues, ein eigenes Leben anzufangen, weitab aller Schatten der Vergangenheit. Und wenn sie ihre besondere Gabe wenigstens versucht hätte zu ignorieren, dann wäre sie womöglich irgendwann versiegt. Und außerdem - niemand hätte sie, April und May, dann ausfindig machen können.
Denn daß diese Entführung irgend etwas mit ihrer verdammten Fähigkeit, diese - Tore zu schaffen, zu tun haben mußte, daran zweifelte May kaum noch; obwohl niemand sie darauf angesprochen hatte. Wie überhaupt kaum jemand ein Wort zu ihr gesagt hatte, seit sie New York verlassen hatten; von Mund auf! einmal abgesehen, wenn man ihr etwas zu essen brachte und sie fütterte. Aber schon die Tatsache, daß man ihr mit den Fesseln jede Handbewegung unmöglich machte, bewies May, daß man sehr genau wußte, wozu sie in der Lage war - wenn man sie gewähren ließ .
Plötzlich übersprang Mays Herz einen Schlag!
Fahles, flackerndes Licht glomm auf. Dann spürte sie eine Bewegung, die sich näherte. Im Grunde war das nichts Außergewöhnliches, schließlich brachte man ihr regelmäßig Essen, oder es sah einfach jemand nach ihr, wenn auch nur, um sich vom festen Sitz ihrer Fesseln zu überzeugen. Aber die seltsamen Leute - samt und sonders in einheitliche Kutten gewandet und doch irgendwie spürbar keine gewöhnlichen Mönche -, die bisher bei ihr aufgekreuzt waren, hatten sich nicht so langsam, so zögernd bewegt wie derjenige, der da jetzt in ihr Verlies gekommen war.
Wer es auch sein mochte, er schlich förmlich näher, und er schien bemüht, sich nicht in ihrem durch die verfluchte Maske eingeengten Gesichtsfeld zu zeigen.
May versuchte sich irgendwie verständlich zu machen, doch die Maske erstickte jeden ihrer Laute zu idiotischem Gebrabbel. Sie ekelte sich vor sich selbst deswegen.
Dann - eine Berührung!
May wollte sich in den Gurten und Ketten hin- und herwerfen, doch mehr als ein schwaches Zucken gelang ihr nicht.
Die Berührungen wiederholten sich. Ein Gefühl, als würden Spinnenbeine über ihren Körper krabbeln, vorsichtig, wie prüfend an den Ketten und Gurten ziehend.
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