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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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war es der tiefe Hass, der in ihm loderte, den sie verstand und selber nur allzu gut kannte, ein innerer Zwang, es morgen schon denen beweisen zu wollen, die noch heute mit Fingern auf einen zeigten. Außerdem gab es etwas in seinem Blick, das sie fesselte, etwas Dunkles, Schweres, das noch ganz andere, bisher unbekannte Genüsse verhieß. Was ging sie sein Teufelsmaul an, über das alle quatschten, wenn sie die kräftigen Schultern, den flachen Bauch, die festen Hinterbacken betrachtete! Auch seine Männlichkeit war beeindruckend, wie sie heimlich beobachtet hatte, wenn er sich im Zuber badete.
    Ja, Guntram Brant war kraftvoll und ausdauernd, ein richtiger Kerl, jemand, der es wie sie nicht leicht gehabt hatte! Einer, den alle unterschätzten. Einer, der schon deshalb zu kämpfen gelernt hatte, weil niemand ihm etwas freiwillig abgegeben hatte. Es gefiel ihr, wie stur er an seinem seltsamen Holzkasten sägte und hämmerte, wie er nächtelang über den Zeichnungen saß, wie er studierte und sinnierte und unnachgiebig gegen sich selbst bei widrigem Wetter hinunter zum Fluss stapfte, um nach Steinen zu suchen. Eines war gewiss: Guntram wollte kein Färbergeselle bleiben, jemand, der sich noch jahrelang unter einem armseligen Schwager und Meister ducken musste, immer in der ständigen Angst, der Sohn, der das Handwerk einmal übernehmen könnte, würde Hermann zu guter Letzt doch noch geboren werden!
    Sie wusste, dass er seine Lust zu den Huren in der Schwalbengasse trug, weil er Angst hatte, eine Frau anzurühren, die kein Geld verlangte und sich deshalb das Recht nehmen würde, ihn wegen seiner Hasenscharte auszulachen. Auch sie würde lachen, wenn er sie zum ersten Mal berührte, heiß, gierig, lockend, so lange, bis seine Angst verschwunden sein würde wie ein Regenguss an einem warmen Sommertag und nur noch blankes, pures Begehren übrigblieb.
    Ein Mann und eine Frau, aus dem gleichen Holz geschnitzt. Zwei, die sich nahmen, wonach ihnen der Sinn stand. Dieser Tag war nicht mehr fern, das spürte sie. Und es gab wenig auf dieser Welt, nach dem es sie mehr verlangt hätte.

Zehn
    Wenn Bocca lachte, verwandelte sich sein Mund in eine große, gekräuselte Welle, die jeden mitriss. Nahezu unmöglich, dann in seiner Gegenwart mürrisch, verstockt oder traurig zu bleiben. Dazu kam, dass sich sein Körper in ständiger Bewegung befand und die mageren Glieder in einem seltsam anmutigen Tanz umherschlenkerten. Seit Leilahs Tod war es vor allem die kleine Flora, die ihn wieder fröhlich stimmte. Er wurde nicht müde, stundenlang mit ihr zu spielen, machte das Pferdchen für sie, ließ sie durch die Luft wirbeln, dass Anna der Atem stockte, fing sie aber jedes Mal sicher wieder auf.
    »Hat ausgesprochenes Talent, Eure Kleine«, sagte er, als Anna das Kind zum Mittagsschlaf nach drinnen getragen hatte. »Mit ein bisschen Übung könnte sie ein echtes Gauklerkind werden, das den Salto beherrscht oder auf dem Seil läuft.«
    »Das schlag dir mal ganz schnell aus dem Kopf«, erwiderte Anna. »Mir ist sie als Gerbertochter schon recht.«
    »Und Ihr? Was ist mit Euch?«
    Er hatte eine Art, sie anzusehen, die sie manchmal fast an Regina erinnerte, so eingehend, so durchdringend. Aber seine Augen waren nicht schillernd grün, sondern groß und rund, braun wie reife Kastanien. Inzwischen war auch das Haar nachgewachsen, wie ein kurzes, dichtes Fell bedeckte es seinen Kopf. Wie alt er wohl sein mochte? Für einen Jungen war das, was er manchmal sagte, überraschend weise.
    »Ich?« Sie lachte, aber es klang nicht besonders fröhlich. »Ich bin die Frau des Gerbers. Das weißt du doch.«
    Bocca ließ nicht locker. »Ja, schon. Aber überkommt Euch nicht manchmal die Lust, alles stehen zu lassen und einfach wegzugehen? Dem Fluss zu folgen, in seinen Wellen zu baden, weiterzuziehen, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf? Nachts unter offenem Himmel zu schlafen, die Sterne zu betrachten, die Freiheit zu genießen, die wir Rubolt nennen - nicht eingesperrt wie ein Vogel in einem engen Käfig?«
    Einer seiner Schneidezähne war abgebrochen und verlieh ihm etwas Freches, Forsches. Schon in wenigen Jahren würde er ein ansehnlicher Kerl sein, dem die Frauen nachschauten, die aus dem fahrenden Volk offen und ohne jede Scheu, die braven Bürgerinnen verstohlen in aller Heimlichkeit.
    »Um dann auf jedem Markplatz meine Faxen zu machen und dankbar zu sein, wenn ich nur etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen bekomme?« Anna schüttelte den

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