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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Mahlzeit, Wein, Geschenken an die Armen und den Purimspielen, Parodien biblischer Ereignisse in bunten Kostümen. Jetzt freilich, auf seinem einsamen Ritt, kam ihm viel eher der historische Anlass zu diesem Fest in den Sinn, so, wie ihn Jakub viele Male erzählt hatte: die Juden in Persien, die ihre Seele verkauft hatten, um in den Genuss einer gewissen äußerlichen Freiheit zu kommen. Sie verschwiegen ihre Abkunft, hielten sich vor dem König hinter einer Maske verborgen. Ein unglücklicher Handel, bis einer den Mut hatte, sich zu widersetzen: Mordechai, der vor dem verräterischen Haman, welcher sich die Gunst des Königs erschlichen hatte, nicht das Knie beugte, sondern die Maske ablegte und zu seiner Herkunft stand. Haman geriet darüber so in Wut, dass er sich nicht allein mit seiner Vernichtung zufriedengeben wollte. Er intrigierte so lange beim König, bis der ihm erlaubte, mit dem ganzen Volk der Juden nach Belieben zu verfahren. Das bedeutete die Ausrottung. Mit einem Los bestimmte er das Datum - pur, das persische Wort für Los. Die Rettung erfolgte schließlich durch die schöne Königin Esther, die ihr Volk vor dem Tod bewahrte, indem sie sich vor ihrem Gatten als Jüdin zu erkennen gab, damit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzte und Hamans Tod bewirkte.
    Niemals zuvor war ihm diese überlieferte Geschichte so nah gegangen. Und sie betraf ihn ganz unmittelbar, das spürte er, beinahe, als sei sie einzig und allein für ihn geschrieben. Lud er etwa den Zorn seines Gottes auf sich, weil er ebenfalls eine Maske aufgesetzt hatte, um sich zu schützen und sein Ziel schneller und sicherer zu erreichen?
    Seine Reise durch die reichen Städte entlang des Bodensees gab ihm reichlich Zeit, darüber nachzudenken. Um Konstanz machte er einen großen Bogen, weil es sich herumgesprochen hatte, dass der Magistrat alle Juden der Stadt seit Anfang Januar unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen halte und jeden Tag mehr von ihnen grausam foltern ließ; ähnliche und noch weitaus schlimmere Nachrichten kamen aus Solothurn, Winterthur und Diessenhofen, wo die Juden schon vor der Jahreswende gerädert, erschlagen und verbrannt worden waren. In Basel waren in einigen Brunnen angeblich von jüdischer Hand platzierte Giftsäckchen gefunden worden. Dort trieb man sie kurzerhand nach den Weihnachtstagen auf der Rheinau in ein paar Ställen zusammen und zündete sie bei lebendigem Leibe an. Aber es gab auch andere Berichte, die die Geschichte der tapferen Königin Esther erneut in ihm lebendig werden ließen. Aus Kreuzlingen beispielsweise, wo die Verfolgten singend und tanzend in ihren Tod gingen. Oder Speyer. Hier hatten sich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde in ihren Häusern selber verbrannt, um Zwangstaufe und unweigerlich folgender Vertreibung zu entgehen.
    Es war mühsam und unendlich bedrückend, dies alles Tag für Tag zu erfahren, verkürzt, übertrieben sicherlich, und oftmals in den Herbergen und Wirtsstuben, die er aufsuchen musste, um bei Kräften zu bleiben, verzerrt wiedergegeben, wie alle mündlichen Berichte, im Kern jedoch wahr, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Die Angst vor der Pest, die wie eine schwarze Giftwolke durch das ganze Reich zog und überall ihre tödliche Ernte einforderte, brachte die Christen allerorts dazu, sich mit ganzer Gewalt der Juden zu entledigen. Sie, die Kinder Israels, mit denen sie so lange friedlich Seite an Seite gewohnt und gearbeitet hatten, galten ihnen nun als der Sündenbock schlechthin, als Quelle allen Übels.
    Deshalb atmete Esra auf, als er endlich die vertrauten Tore von Straßburg erreichte. Josef ben Mose, Salomons Onkel, war inzwischen gestorben; seine Frau Ruth aber lebte, soviel er wusste, noch immer im Haus ihrer Tochter Feiga. Welch erfreuliche Vorstellung, endlich wieder ein paar bekannte Gesichter zu sehen! Welche Erleichterung, wieder er selber sein zu können! Allerdings war er so viele Jahre nicht mehr hier gewesen, deshalb dauerte es, bis er sich wieder einigermaßen in der beachtlich gewachsenen Stadt zurechtfand, in der ihm alles neu und fremd erschien.
    Es war dunkel, als er im jüdischen Viertel ankam, eine mondlose Nacht, mit schweren, dicken Wolken, die Regen oder Schnee verhießen. Esra wunderte sich, dass nirgendwo ein Licht in den Häusern zu sehen war. Beim Näherkommen stellte er fest, dass die meisten Türen offen standen, dass Hausrat, Stoffe, zerbrochenes Geschirr in wildem Durcheinander auf der Straße lagen. Ein banges,

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