Pforten der Nacht
Mittel dazu. Nur so kann euer Schutz gewahrt bleiben.«
»Ich fürchte mich. Ich habe schreckliche Angst.« Noch niemals zuvor hatte er solche Worte aus ihrem Mund gehört. »Erst die Juden, die man überall in den Städten hetzt und brennt wie Wild. Und jetzt vielleicht wir? Ich könnte es nicht aushalten, wenn sie uns wieder der Ketzerei bezichtigen, uns einsperren und foltern, nicht noch einmal! Immer habe ich gedacht, man könne das Furchtbare vertreiben, indem man ganz fest an etwas Schönes denkt, selbst in Not und größter Enge. Und danach gelebt, so gut es eben ging. Aber jetzt spüre ich, wie meine Kraft nachlässt. Ich bin so müde, Bruno, so unendlich kraftlos. Am liebsten wäre ich tot. Und begraben.«
»Das darfst du nicht einmal denken.«
Er zog sie langsam zu sich heran. Die Versuchung, sich noch einmal in ihrem weiblichen Duft zu vergraben, war übermächtig. Sie ließ es willig geschehen, schien seine Nähe ebenfalls zu genießen.
»Und weshalb?«, sagte sie schließlich leise. »Wen würde es schon kümmern, wenn ich nicht mehr auf der Welt wäre - eine Sünderin unter vielen, schlimmer freilich als Maria Magdalena, trotz all ihrem frommen Gehabe?«
»Du weißt genau, wie es Jesus Christus mit den reuigen Sündern hält«, sagte Bruno. In der Eile schien sie die übliche Haube vergessen zu haben. Ihr Haar war lockig und schimmerte rötlich, wie damals. Nur ganz von nahem entdeckte er eine graue Strähne über dem rechten Ohr, die ihn mehr als alles andere rührte. »Die sind ihm lieber als alle rechtschaffenen Pharisäer zusammen!«
»Ich weiß nicht«, sagte Regina unschlüssig.
»Aber ich.«
Wie von selber suchte sein Mund ihre Lippen, die sich langsam öffneten. Es war ein langer, inniger Kuss, voller Liebe, Freundschaft, Trauer. Und Abschied.
Regina war die Erste, die anschließend wieder Worte fand. Es klang, als wählte sie jedes Einzelne davon mit viel Bedacht.
»Du hast dich Ihm also ganz verschrieben«, sagte sie. »Mehr noch als damals. Ich kann es spüren. Mit jeder Faser. Du gehörst Gott, Bruno de Berck!«
Er lächelte fein. »Wenn Er mich ganz angenommen hat, so soll es mir recht sein. Es war ein langer Weg, Regina, und kein leichter dazu, wie du dir denken kannst. Aber jetzt weiß ich, wohin ich gehöre. Und das verleiht Freude und schenkt inneren Frieden.«
»Ich wünschte, ich wüsste es auch«, sagte sie halblaut.
»Du weißt es.« Er sah entspannt, beinahe fröhlich aus. »Du musst dich lediglich daran erinnern.«
Er brachte sie zum Portal und sah ihr nach, wie sie in der Nacht verschwand, bevor er zu seiner Andacht an den Altar zurückkehrte. Inzwischen hatte Johannes van der Hülst die Kirche durch eine Nebentür schon längst unbemerkt verlassen.
Vierzehn
Der Sommer des Jahres 1349 verlief heiß und ungewöhnlich drückend. Schon seit Anfang Juni waren so gut wie keine Niederschläge mehr gefallen; jeden Morgen zog ein blanker, wolkenloser Tag herauf, mit einem Himmel, so durchdringend blau wie frisch gebrannte Emaille. Längst war es den Menschen in Stadt und Land zur Gewohnheit geworden, ihre Gebete und Messen mit Fürbitten um baldigen und reichlichen Regen zu beschließen. Die meisten wandten sich gewohnheitsmäßig an den heiligen Petrus, der als Schutzpatron des Wetters galt; einige aber flehten auch zur Muttergottes, die Verzweifelten in jeder schwierigen Lage beistand. Doch anscheinend wollte nichts von alledem helfen, nicht einmal die in früheren Jahren so begehrten Künste des alten Regenmachers, der mit seinem klapprigen Planwagen von Ortschaft zu Ortschaft zog, jetzt jedoch mehr als einmal von wutentbrannten Bauern mit Sensen und Mistgabeln davongejagt wurde, als sein mit Butter, Schmalz und Weizen teuer bezahlter Zauber keinerlei Wirkung zeigte. Das Korn stand dürr auf den Feldern, die Wiesen waren wie verbrannt, die Blätter an den Bäumen schon lang vor der Zeit braun und welk geworden. Sogar der große Fluss trieb tief und träge in seinem Bett dahin, und in den ausgetrockneten Auenlandschaften zankten sich die Tiere um immer dürftigere Pfützen.
In Köln hatte man inzwischen damit beginnen müssen, das Wasser zu rationieren, da viele der flacheren Zisternen, die vor allem vom Regenwasser gespeist wurden, am Versiegen waren oder bereits erschöpft. Deshalb gab es nun von früh bis spät um die tieferen Schachtbrunnen mit größerem und daher sicherem Reservoir wildes Gedränge, so ungestüm und lautstark, dass sich die Klöster schließlich
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