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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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entgegnete Bruno de Berck scharf, »und wähnen fälschlicherweise, es sei Gottes Stimme. Die Versuchung kann das Antlitz und die Stimme Gottes annehmen, um unsere Seele irrezuleiten.« Mit einer weiten Geste schloss er alle ein. »›Verkündet mit Worten‹, hat Franziskus gesagt, ›wenn ihr mit eurem Dienst an Gott beginnt. Und das ist gut so. Verkündet jedoch mit Taten, wenn ihr wirklich liebt.‹ Nun ist die Zeit der Taten gekommen, meine Brüder!«
    Fragende Blicke, denen er die Erklärung eine ganze Weile schuldig blieb. Dann wurde sein Gesicht noch ernster, und nun schien er einzig und allein zu Johannes zu sprechen.
    »Heute Morgen hat man den ersten Pestkranken ins Hospital gebracht. Es werden bald mehr werden, Hunderte, vielleicht sogar Tausende! Aber das ist leider noch nicht alles. Der Schwarze Tod hat auch bereits gebieterisch an die Pforten unseres Klosters gepocht. Bruder Albin liegt fiebernd in seiner Zelle. Mit dunklen Flecken an Hals und Brust. Wir werden also stark sein müssen. Und mit Pflege und vor allem geistlichem Beistand alle Hände voll zu tun haben!«
     
    Hilla ging es sichtlich schlechter als sonst, und seit ein paar Tagen klagten selbst Barbra und Agnes über Kopfschmerzen, Benommenheit und Erschöpfung. Regina, von Kati, der Nachbarin, schließlich benachrichtigt, beugte sich besorgt über die Kranken. Zuvor hatte sie sich ein Mulltuch vor den Mund gebunden. Ein Schutz, wie manche glaubten, bei dieser schrecklichsten aller Krankheiten, bei der, wovon andere wiederum überzeugt waren, jede Maßnahme letztlich doch versagte.
    »Wann warst du zum letzten Mal im ›Schwan‹?«, fragte sie die Ältere und strich ihr über den verschwitzten Kopf.
    »Vor drei Tagen«, kam es erstickt zurück. »Dann ist mir heiß und übel geworden, und Ursula hat mich heimgeschickt. Sie war so wütend, dass sie die ganze Arbeit allein machen musste!« Unter den Achseln des Mädchens entdeckte Regina dicke Schwellungen; eine davon war bereits bläulich verfärbt. »Kannst du mir nicht was gegen die Schmerzen geben?«, bat Barbra kläglich. »Mein Bauch fühlt sich an, als wäre ein Bienenschwarm drin!«
    Sie verabreichte ihr ein leicht lösliches Distelpulver; dann zwang sie alle drei, reichlich von dem Giftlattichlikör zu trinken und dabei ein paar der mitgebrachten Theriakkügelchen zu schlucken. Danach schleppte sich Hilla ächzend hinaus. Die Geschwulst an ihrer Brust schien gewachsen und nässte durch das schmutzige Kleid. Regina hatte ihr immer wieder angeboten, sie zu untersuchen, um Gewissheit zu haben, sie hatte es jedoch jedes Mal abgelehnt.
    »Wo ist Hermann? Wann kommt er zurück?«, fragte Regina auf dem Flur und nahm das Tuch ab. »Wir müssen ihm dringend Bescheid geben.«
    Ein desinteressiertes Achselzucken. »Dem ist es doch egal, wenn wir hier alle krepieren!«
    »Und Guntram?« Sie musste diese Frage stellen!
    »Seit Wochen nicht mehr gesehen.« Es klang, als hätte sie jede Hoffnung aufgegeben.
    »Du weißt also, was es ist?«
    Die Maulwürfin schüttelte bleich den Kopf. Niemals hatte Regina Hermanns zweite Frau gemocht; in diesem Augenblick jedoch empfand sie tiefes Mitgefühl mit ihr. Was hatte sie schon von ihrem Leben gehabt? Zahllose Schwangerschaften und Fehlgeburten, nichts als Arbeit und Sorgen, dazu einen Mann, der sie nie geliebt, sondern nur benutzt hatte!
    »Dann will ich es dir sagen. Deine beiden Mädchen sind sterbenskrank, und es ist gut möglich, dass du dich schon morgen zu ihnen legen musst. Wenn du ihnen nahe kommst, binde dir ein Tuch vor den Mund, wie du es bei mir gesehen hast, und verbrenne ihre Kleider, solange du noch dazu imstande bist.« Sie hielt inne. »Du weißt, dass ich euch melden muss«, fügte sie schließlich hinzu. »Sie bestrafen jeden, der es versäumt, und eine Begine wie mich erst recht. Also erschrick nicht, wenn du das schwarze Kreuz am Haus siehst. Ich werde dafür sorgen, dass ihr zu essen bekommt. Und natürlich schaue ich weiterhin nach dir und den Mädchen.«
    »Aber es ist doch nicht …« Hilla bekam vor Entsetzen den Mund nicht mehr zu.
    »Doch«, sagte Regina müde und wandte sich zum Gehen. »Es ist die Pest.« Sie schlug das Kreuzzeichen. »Möge Gott, der Herr, euch beistehen!«
    Sie wechselte die Straßenseite und betrat nach ein paar Schritten den »Schwan«. Jetzt, am späten Nachmittag, saßen nur ein paar Zecher in der Wirtsstube; Ursula war in der Küche, wo sie in einem brodelnden Suppentopf rührte. Ihr dreieckiges

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