Pforten der Nacht
über seine Grenzen hinaus, die sich ebenfalls Beginen beziehungsweise Begarden nannten, ausschließlich vom Bettel lebten und halsstarrig auf das christliche Ideal der Armut pochten. Jene betrachtete die weltliche wie auch die geistliche Obrigkeit mit ganz besonderem Misstrauen, sperrte sie hie und da ein oder machte ihnen wegen einer Nichtigkeit den Prozess. Die Inquisition ließ sie nicht aus den Augen, nur allzu bereit, ihnen angelastete Fehler und Sünden auch auf die sesshaften Schwestern zu übertragen. Noch immer genügte ein Windstoß, um das Feuer der Verdächtigungen gegen alle Beginen zu entfachen. Dabei wurden es von Jahr zu Jahr mehr, die sich zu dieser Lebensform entschieden: Frauen jeden Alters und jeder Herkunft, Witwen, Jungfrauen, Unverheiratete, die gemeinsam unter einem Dach lebten, arbeiteten und beteten.
Sie war aufgestanden. Hatte die Katze hinausgelassen, sich rasch Wasser ins Gesicht gespritzt, die Haare gekämmt, die Zähne mit Salz gereinigt, was sie selten vergaß. Wahrscheinlich hatte sie sich deshalb noch niemals ernsthafte Sorgen um ihr Gebiss machen müssen, das stark und gesund war wie zu ihrer Mädchenzeit. Und sie hatte sich angekleidet. Wie jeden Tag in grobes, graues Barchent, eine zweckmäßige Tracht, bei der man nicht lange nachzudenken brauchte. Manchmal tat es ihr ein wenig leid, auf all den Tand verzichten zu müssen, mit dem andere Frauen sich schmücken konnten, aber meistens empfand sie es als Erleichterung. Das Beginenkleid, das bis zu den Füßen fiel und am Hals hochgeschlossen war, schützte, gekrönt von der strengen Haube, vor frechen Männerblicken und verlieh eine unantastbare Würde, die nur wenig unter der von Nonnen stand. Sie hatte zu viel erlebt, um nicht dankbar dafür zu sein, zu Schweres durchgemacht, um das schlichte graue Tuch nicht mit Freude und Genugtuung zu tragen.
Die Frauen am Webstuhl senkten das Haupt, als sie den Raum betrat. Greda, die Älteste von ihnen, die mit ihren gichtverkrümmten Händen schon lange nicht mehr die Schiffchen führen konnte und seitdem als Vorleserin fungierte, lächelte ihr zu.
»Heute ist der Namenstag der heiligen Adelheid«, sagte sie. »Ich bin gerade dabei, eine schöne Geschichte über die tapfere junge Frau vorzutragen. Sie vollbrachte Wohltaten und förderte die Kirche, wo immer sie nur konnte. Gott war sie wohlgefällig, solange sie lebte. Ich denke, wir können uns alle ein Beispiel an ihr nehmen.« Sie rang zwischen schadhaften Zähnen nach Luft. Gegen das schmerzhafte Ziehen in ihrer Brust waren auch die selbst gebrauten Kräutertränke der Beginen machtlos.
»Sicherlich«, erwiderte Regina ebenfalls lächelnd. Der naive, beinahe kindlich anmutende Eifer der alten Frau rührte sie, weckte jedoch gleichzeitig auch Widerspruch in ihr. Ihr waren fromme Taten lieber als fromme Worte. »Vielleicht aber dienen wir Gott umso mehr, wenn wir ihn nicht ständig als Rechtfertigung für unser Handeln benutzen. Gott will nicht der Grund sein, dass wir die Menschen lieben. Die Menschen selbst sind der wahre Grund der Liebe zu ihnen.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, murmelte Greda betreten. Ihre Mundwinkel begannen zu zucken, wie so oft, wenn sie sich gerügt fühlte und unentschlossen war, ob sie nun schmollen oder grollen sollte. »Wir sollten doch bei allem, was wir tun, an Gott denken.«
»Nun, Gott ist die absolute Freundschaft zu den Menschen, die Jesus bis in den Tod gelebt hat. Bis zum Ende für die Menschen und mit ihnen zu handeln heißt, sich zu dem zu bekennen, der nichts anderes sein wollte als der Menschensohn.«
Jetzt standen alle Schiffchen still und mehr als ein Mund halb offen.
Ich darf sie nicht überfordern, dachte Regina. Das wäre falsch und überheblich dazu. Schließlich hatte keine von ihnen wie ich das Privileg, philosophische Streitgespräche mit Bruno zu führen, die meinen Geist gebildet und meine Urteilskraft geschärft haben. Leider blieb seit Langem kaum noch Zeit dazu. Was sie gleichzeitig begrüßte und bedauerte. Die seltsame Irritation zwischen ihnen, die es gab, seitdem sie ihn als junges Mädchen zum ersten Mal getroffen hatte, war noch immer vorhanden. Auch wenn keiner von ihnen sie mehr erwähnte. Wogegen Regina nichts einzuwenden hatte. Im Augenblick waren Bruno de Bercks regelmäßige Visitationen als Beichtvater, die nicht nur ihr, sondern dem ganzen Konvent galten, für ihren Seelenfrieden gefährlich genug.
»Weihnachten ist nah«, fuhr sie milder fort,
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