Pforten der Nacht
musste. Auch jetzt war Mechthild bereits wieder mit ein paar Nachttöpfen beladen. Sie errötete leicht, als sie der Meisterin des Konvents gegenüberstand und mit einer Kerze ins Gesicht geleuchtet bekam.
»Ich hab schon mal mit dem Dienst angefangen«, sagte sie entschuldigend. »Obwohl es eigentlich noch zu früh ist. Weil ich ohnehin wach war. In Eurem Zimmer steht frisches Wasser bereit. Lauwarm, so wie Ihr es am liebsten habt. Soll ich Euch noch einen starken Melissentee aufbrühen?«
»Bloß nicht! Denn ich werde mich jetzt unverzüglich zu Bett begeben. Selbst der Herr hat am siebten Tag geruht«, erwiderte Regina leicht süffisant. »Außerdem hat er abends die Sonne zur Ruhe geschickt, um uns mit dem milden Licht der nächtlichen Gestirne zu laben. Mit anderen Worten: Schlaf ist etwas sehr Wichtiges. Ganz besonders für junge Beginen, die den ganzen Tag auf den Beinen sein müssen, um ihr Werk wohlgefällig zu verrichten.« Das Rot auf den runden Wangen wurde tiefer. »Natürlich danke ich dir für deine Fürsorge, Mechthild. Aber du solltest beizeiten lernen, auch an dich zu denken und nicht immer nur an die anderen. Diemut löst mich in Kürze ab. Ich hoffe, dass wenigstens sie sich die nötige Ruhe gegönnt hat.«
Sie schritt den breiten Flur weiter, bis sie zu ihrem Zimmer kam. Mit leisem Maunzen empfing sie die graue Katze, die seit dem Ende des Sommers beschlossen hatte, das Beginenhaus und speziell Reginas Kammer sei ihr neues Zuhause. Sie erhob sich vom Bett, ihrem Lieblingsplatz, und strich Regina um die Beine.
»Meine kleine Viva!« Kein anderer Name hätte zu diesem springlebendigen Lebewesen gepasst! »Ich habe mich auch schon auf dich gefreut.«
Regina streichelte sie ausgiebig, bis das seidige Fell knisterte und das Tier anmutig auf die Truhe sprang. Dann erst streifte sie ihr Gewand ab und löste die Haube. Mit beiden Händen fuhr sie durch ihr lockiges Haar, das so kurz war, dass sie es nicht flechten konnte. Eine der Vorschriften ihrer Vereinigung, die sie persönlich sehr praktisch fand. Außerdem umrahmte es das schmale Gesicht wie eine feurige Aureole und unterstrich das aufregende Graugrün ihrer Augen. Der kleine Spiegel aus poliertem Kupfer, ein Geschenk Bela van der Hülsts, das im Konvent eigentlich nicht gern gesehen war, verriet ihr, wie gut ihr diese ungewöhnliche Haartracht stand. Ab und zu fiel sie wieder in diese kleine Eitelkeit zurück und musste unwillkürlich über sich selber lachen, wenn sie ihr Gesicht prüfend nach Unebenheiten und Linien untersuchte, obwohl sie genau wusste, dass ihre Haut noch immer glatt, ihre Lippen voll waren.
Sie ließ das Unterkleid vom Körper gleiten, ohne zu frösteln. Der Kachelofen, jüngste Spende einer frommen Gönnerin, verbreitete wohlige Wärme. Selbst das Waschwasser hatte genau die richtige Temperatur. Sie benetzte Gesicht und Hals, dann wusch sie mit einem sauberen Lappen Brüste, Bauch und Schoß. Schließlich rieb sie sich mit einem großen Wolltuch trocken und zog das leinene Unterkleid wieder an. Sie zögerte einen Augenblick. Danach nahm sie ein dunkelbraunes Fläschchen vom Nachttisch und tupfte sich etwas von dem Lavendelöl hinter die Ohren, ebenfalls eine Angewohnheit aus früheren Tagen. Schließlich schlug sie die Bettdecke zurück und kroch unter die Federn. Es dauerte nicht lange, und eine leichte Last war auf der Bettdecke zu spüren. Lautlos schmiegte sich die Katze an Reginas Seite.
Wie sehr sie das frische, gut durchgeschüttelte Stroh und das saubere Leintuch darüber genoss! Die Kleider, einfach zwar, aber immer reinlich, konnte sie so oft wechseln, wie sie wollte. Und die Stille ihrer Kammer, die ihr ganz allein gehörte! Hier fühlte sie sich geborgen und stark. Erst wenn sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, glaubte sie wirklich, dass sie niemals mehr seinen fauligen Atem würde riechen müssen, schwer, keuchend, diesen unverwechselbaren Gestank nach Mann, Branntwein und Gier, der sie noch heute in unruhigen Träumen quälte.
Sie sprach ein kurzes, dankbares Gebet. Und war rasch eingeschlafen.
Regina erwachte, als das Haus zu leben begann. Sie hörte das Lied der Schwestern, die dem Morgen einen andächtigen Rosenkranz hinterherschickten. Später eilige Schritte auf dem Flur. Unten im Erdgeschoss das Klappern der Webstühle und das gleichmäßige Tacktack der Klöpplerinnen. Es war kein richtiger Beginenhof, den sie bewohnten, und weder in Größe noch in Ausstattung mit den prachtvollen
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