Pforten der Nacht
ihm, kaum ist er aus der Tür, und weiß nicht, was ich tun soll, wenn er neben mir steht. Ist das Liebe, Regina? Ist es das?«
»Bruno«, flüsterte Regina tonlos, »ausgerechnet Bruno de Berck!« Schnell wischte sie mit der Hand über ihr Gesicht. Sie würde ihn zur Rede stellen. Endlich hatte sie einen triftigen Grund dazu, der nur indirekt mit ihr selber zu tun hatte. »Liebe?«, fuhr sie lauter fort. »Ich weiß es nicht. Was du berichtest, klingt eher nach einer Art Besessenheit, findest du nicht? Wenn du mich fragst, so hat dein Johannes ohnehin die Augen eines Schwärmers. Das ist kein Mann für meine Anna, niemand, mit dem sie ein ruhiges, friedliches Glück finden wird.«
»Ich will aber keinen Frieden! Ich will Johannes. Außerdem kann ich nicht warten. Bis er zurückkommt, bin ich vielleicht schon alt und hässlich. Und er hat mich längst aus seinem Herzen verdrängt!«
»Ah, unser dummes, verletzliches menschliches Herz«, sagte Regina leise, »wahrhaft ein Organ aus Feuer! So schnell geht das nicht mit dem Vergessen, meine Kleine, glaub mir! Besonders, wenn man zum ersten Mal liebt. Du hast wirklich noch genügend Zeit.« Sie löste den Zopf und fuhr zärtlich durch die gewellten Strähnen. Dann setzte sie ihr das Samthäubchen auf, dessen lichtes Blau Annas Augenfarbe unterstrich. »Da schenkt man dir ein stattliches Haus, und als Dank brichst du wie ein Kind in Tränen aus.«
»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Anna schniefend. »Ich wollte dich nicht kränken. Aber ich bin so durcheinander.«
»Schon gut! Lass uns jetzt noch einmal zu dem Anwesen in der Schildergasse zurückkommen. Die Schreinskarte verwahre ich bis auf Weiteres für dich auf. Hier, in dieser Truhe. Sie belegt, dass das Haus dir gehört. Allerdings wird die Schenkung erst rechtskräftig, wenn du achtzehn bist und damit volljährig. Bis dahin bleibt dein Vater dein Mumber, es sei denn, du heiratest zuvor. Ich will keinesfalls, dass er sich als dein Vormund in den nächsten beiden Jahren an deinem Eigentum vergreift. Ebenso wenig wie dein künftiger Ehemann.«
Das Letztere überhörte Anna geflissentlich. »Und wie sollen wir das anstellen? Vater braucht doch ständig Geld!«
»Ganz einfach! Wir werden die ganze Angelegenheit vorerst für uns behalten. Schau mich nicht so ungläubig an! Willst du vielleicht, dass er alles auf die Schnelle verspekuliert? Na also! Für diese Mitgift muss sich keine schämen, Anna.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Aber ich möchte als Erste informiert werden, wenn es ernst mit dem Heiraten wird!«
»Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich keinen von Vaters Kandidaten nehme!« Anna war zornig aufgefahren. »Ich liebe Johannes, und damit basta!«
»So gefällst du mir schon viel besser als das heulende Elendshäuflein von eben! Ich mag es, wenn deine Augen blitzen. Also, was ist? Versprochen?«
»Versprochen«, sagte Anna. »Ich danke dir. Für das Haus und die Haube. Wieso nur kannst du nicht meine Mutter sein?«
»Weil ich schon deine Tante bin, eine Begine dazu, und dich ohnehin nicht mehr lieben könnte. Und jetzt wisch dir lieber die Tränen ab. Hier im Konvent gibt es eine Menge neugieriger Augen. Müssen ja nicht gleich alle sehen, wie aufgewühlt du bist!«
Als nach einer Weile die Tür zum Flur aufging, gelang es Ursula gerade noch, sich rechtzeitig in eine dunkle Nische zu drücken. Ihr Atem ging rasch. Ihr Ohr war ganz heiß geworden. Die Holzritze in der Eichentür hatte sie schon seit Längerem immer wieder mit dem Fingernagel oder einer Haarnadel erweitert, wenn keine der frommen Schwestern sie dabei beobachten konnte.
Genug jedenfalls, um jedes einzelne Wort zu verstehen, das in Reginas Kammer gesprochen wurde.
Ihr Duft hing an seinen Fingern, brannte auf seiner Haut. Roher Zimt, Moschus, wilder Jasmin. Ein lockender, geheimnisvoller, durch und durch erotischer Geruch nach Frau. Er beobachtete, wie sie durch den Raum ging, und die Rückenansicht ihres Seidenkleids mit seinem schimmernden Material ließ ihn nicht mehr los. Der Stoff lag eng an ihrem Körper an, wie eine zweite Haut; ein breites Brokatband, bestickt mit winzigen Goldperlen, umgürtete fest die Taille. Eine leichte Schwellung war schon bemerkbar, allerdings nur, wenn man ganz genau hinsah. Noch ein paar Wochen, und ihr Leib würde sich zu sehr gerundet haben, um noch so fest geschnürt zu werden.
Die Vorstellung, dass sie in wenigen Monaten sein Kind zur Welt bringen würde, versetzte ihn in Verzückung.
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