Pforten der Nacht
recht nicht Anna. Aber sie war immerhin eine Frau.
»Zehn Vierlinge für die Paradiespforte und fünf weitere für den Haupthimmel mit allen Engeln und Seraphim. Und wenn du dann noch immer nicht genug hast, zeig ich dir einen Höllenbrand, den dein geschätzter Dolch sein Lebtag nicht mehr vergessen wird!«
Ihr Mund war groß und geschwungen wie eine Welle. Vielleicht würde sie ihn verschlingen, vielleicht würde er ganz in ihr versinken wie in warmem, leicht brackigem Wasser. Er musste ihr auf den Mund schauen, immer nur auf den Mund. Ihre Worte flogen an ihm vorbei wie Nebelfetzen.
»Komm, Süßer!« Sie stand so schnell auf, dass er loslassen musste. »Das war nur die Vorspeise.« Alles, was er tat oder sagte, schien sie erneut zum Lachen zu bringen. »Wir gehen nach oben. Für das Hauptgericht und die Nachspeise suchen wir uns einen bequemeren Ort. Wie heißt du überhaupt, mein Schatz?«
Er erwiderte, ohne nachzudenken. Die Antwort schoss aus ihm heraus, als hätte sie schon seit jeher darauf gewartet.
»Jan«, sagte er. »Ich bin Jan.«
Das Judentor war schon eine ganze Weile geschlossen, aber Recha war dennoch beunruhigt. Draußen, in der Stadt, jenseits der schützenden Mauer, knallten Peitschen, war dumpfes, lautes Rasseln zu hören. Und überall Feuer, der Schein unzähliger Fackeln, beinahe, als ob der Himmel brannte. Ob sie schon die Strohpuppen angezündet hatten, die all das verkörperten, was sie fürchteten und verachteten? Das war im vergangenen Jahr der Anfang vom Ende gewesen. Flammen hatten schließlich auch im Judenviertel gewütet und zwei der schönsten Häuser in ausgebrannte Ruinen verwandelt …
Sie war mürrisch und ungewohnt wortkarg. Nichts konnte man ihr recht machen, nicht einmal Lea, für deren aufmerksame, wenngleich manchmal auch ungeschickte Hilfe sie sonst nur Lob hatte. »Pass doch auf!«, herrschte sie das Mädchen an, als sie einen Topf mit brodelnder Wirsingsuppe ungeschickt vom Herd ziehen wollte. »Sonst schüttest du dir noch alles drüber!«
Und hast überall Brandwunden, dass dich endgültig keiner mehr ansieht.
Sie erschrak über ihre eigenen hässlichen Gedanken.
»Es ist, weil sie noch immer nicht zu Hause sind, oder?«, fragte Lea leise und humpelte hinüber zum Tisch. »Onkel Jakub und Esra. Deshalb bist du so unruhig.«
Recha nickte. »Heute Nacht würde ich euch alle am liebsten wie eine Glucke unter meine Röcke nehmen und nicht mehr rauslassen. Aber das will ja keiner von euch.« Sie schnitt eine Grimasse, bemühte sich um Fröhlichkeit und gab es gleich wieder auf. »Manchmal ist es schrecklich, Menschen so zu lieben, wie ich euch liebe«, murmelte sie und zog dabei das flache Brot aus dem Backofen, das genauso war, wie ihre Männer es bevorzugten: kross und frisch. »Immer diese Angst, dieses Ziehen im Herzen - kaum auszuhalten! Aber das wird dir nicht viel anders gehen, wenn du erst einmal erwachsen bist und eigene Kinder hast.«
»Falls mich Lahme überhaupt je einer zur Frau nimmt«, entgegnete Lea sanft. »Und wenn nicht, dann bleibe ich bei euch. Oder ich werde einfach eine Gelehrte, so wie Esra. Ich glaube, das würde mir ohnehin am besten gefallen.«
»Unsinn! Das geht doch nicht, Kind, schließlich bist du ein Mädchen und kein Mann …«
Das Wort blieb ihr im Mund stecken, als Salomon grußlos zur Tür hereinstürmte, gefolgt von Jakub. Beide bleich, beide mit wilden, entsetzten Augen.
»Sie haben den Friedhof geschändet«, keuchte er. »Alles drunter und drüber! Alles zerstört, befleckt, entweiht! Die Gräber, die Steine, die Toten. Und mein Vater, mein guter, alter Vater …«
»Was haben sie Daniel angetan?« Recha konnte kaum noch atmen.
»Ein Kreuz«, murmelte Jakub. »Sie haben ein Kreuz in seinen Rücken geschnitten.«
Hermann hatte Hilla und den Mädchen streng untersagt, am Fastabend das Haus zu verlassen, und sogar den »Schwan« geschlossen, weil er sich anderweitig amüsieren wollte. Anna musste unerträglich lange warten, bis die Kleinen endlich zur Ruhe gekommen waren und er zu seinen Zunftgenossen aufgebrochen war, um sich mit ihnen zu betrinken. Sie hätte schreien können, so angespannt war sie, bemühte sich aber, ein ruhiges, gleichmütiges Gesicht zu machen, um sich ja nicht zu verraten.
Die Maulwürfin fühlte sich schon seit Tagen nicht wohl. Sie klagte über schwere Beine und Schmerzen im Kreuz, die eigentlich nichts anderes sein konnten als erste Wehen, auch wenn sie es vehement abstritt. Viel zu
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