Pforten der Nacht
wieder.
»Dein Vater hat recht«, hatte er ihm zu seinem Erstaunen geantwortet, erheblich weniger freundlich und besorgt, als Johannes erhofft hatte. Er konnte ja nicht wissen, dass Regina Brant am Vortag bei dem Franziskaner gewesen und ihn inständig beschworen hatte, dem jungen Mann den richtigen Ratschlag zu erteilen: die Stadt zu verlassen, um ihre Nichte vor Dummheiten zu bewahren, die sie womöglich ein Leben lang bereuen würde. »Ich selber könnte dir nichts anderes sagen. Geh nach Italien und lerne, mein Freund!«
»Hat nicht Franziskus gesagt, dass keine Seele durch Gelehrsamkeit gerettet werden kann?«
»Das hat er in der Tat. Er hat allerdings auch gefordert, dass jeder Mönch seines Ordens einen Beruf ausüben soll, um den anderen Brüdern nicht auf der Tasche zu liegen.«
»Aber denk doch nur an die Geschichte vom reichen Prasser, der vergeblich ins Himmelreich möchte, und vom armen Lazarus, der dagegen göttliche Gnade findet!«
»So überliefert es uns Lukas, der Evangelist. Ich sehe mit Wohlgefallen, dass du die Worte der Heiligen Schrift aufmerksam in dich aufgenommen hast. Ganz verstanden scheinst du sie allerdings nicht zu haben, Johannes.«
Das frische Jungengesicht rötete sich. »Steht nicht bei Matthäus geschrieben und hat nicht Franziskus selber gefordert: ›Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Taschen haben? Auch keine Tasche zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe und keinen Stecken?‹«
»Niemand verlangt von dir, als großer Herr zu reisen. Du wirst in aller Bescheidenheit die Alpen überqueren. Und nichts von dem Wissen, was du dort jenseits der mächtigen Bergmassive erwirbst, kann man dir später wieder nehmen. Sieh dich mit offenen Augen um, beobachte, nimm auf, speichere! Die Welt ist unsere größte Lehrmeisterin. Was sie uns zeigt, tragen wir auch in die Klostermauern. Wenn du anschließend noch immer einer unserer Brüder werden möchtest, dann komm zu mir!« Der Mönch lächelte. »Keiner wird dich zwingen, reich zu werden, Johannes. Und ich am allerwenigsten. Darauf gebe ich dir schon jetzt mein Wort!«
»Wie kann ich denn Gott dienen, wenn ich gleichzeitig viele Jahre lang dem Mammon dienen muss?« Verzweifelt hatte Johannes sich gefühlt, missverstanden, abgelehnt. Nicht einmal der kostbare Dolch in seinem Gürtel machte ihm mehr Spaß. »Ich fühle mich wie ein Wurm, der im Staube kriecht, wenn ich damit zu tun habe!«
»Auch der Wurm ist unser Bruder, lautet die Botschaft des heiligen Franz«, bekam er als Antwort. »Wir dienen Gott exakt an dem Platz, an den er uns gestellt hat. Er befiehlt - wir gehorchen nur. Unser Orden hat keinen Bedarf an jugendlichen Fantasten, die vor einer Welt fliehen, die sie ängstigt, sondern braucht Männer, die sich sicher sind, den richtigen Weg gewählt zu haben. Du bist noch so jung, Johannes! Sei nicht ungeduldig. Ich weiß, dass du einer der Unsrigen werden wirst. Aber nicht jetzt. Sondern wenn der Allmächtige dich dazu beruft.«
»Und wie merke ich das? Woran soll ich es erkennen?« Ein gequälter Aufschrei.
»Du wirst es erkennen, Johannes, sei unbesorgt!«
»Aber mein Vater …«
Unwirsch hatte de Berck ihn unterbrochen. »Unsere Ordensregel verlangt nicht nur Armut, Johannes, sondern auch Demut. Wer nicht lernt, sich zu fügen, gerät schnell an die Grenzen der Gemeinschaft. Nicht zu vergessen die Keuschheit als dritte Forderung, nicht einfach für einen leidenschaftlichen jungen Mann wie dich. Ich hoffe, du erinnerst dich zur rechten Zeit daran! Auch heute Abend, wenn die große Trommel geschlagen wird und die Rummelpötte brummen!«
Ausgerechnet Keuschheit - pah! Er trank einen weiteren großen Schluck von dem Selbstgebrannten und schüttelte sich. Wahrlich ein härterer Tropfen als die samtigen, dunklen Weine, die sein Vater aus Italien und dem Frankenreich zu importieren pflegte! Der Alkohol brannte in seiner Kehle, kreiste in seinem Schädel. Sein Blick verschwamm. Nur wenn er sich stark konzentrierte, sah er noch richtig.
»Na, Kleiner«, sagte eine der Huren mitleidig, »übernimmst du dich da nicht ein bisschen?« Sie hatte breite Hüften und schwere, weiße Brüste, von denen das rote Kleid mit der vergilbten Litze viel freigab. Wenn sie lachte, sah man, dass die hinteren Zähne fehlten. Aber ihre dunklen, großen Augen glitzerten, und sie roch leicht ranzig, jedoch durchaus verheißungsvoll.
»Wie heißt du?«, wollte er wissen. Noch nie zuvor hatte er mit einer aus der
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