Pforten der Nacht
sie zu denken genügte bereits, seine Brust ganz eng werden zu lassen. Und dennoch tat er es immer wieder, wie unter einem Zwang, dem er nicht entkommen konnte, tagsüber und besonders intensiv, bevor er einschlief. Ein unsichtbarer Faden band ihn an sie, und er fühlte genau, dass es ihr ähnlich erging, obwohl sie nach außen alles unternahm, um das Gegenteil zu beweisen. Er spürte, dass sie im Haus war, noch bevor er die Tür geöffnet und ihren zarten Lavendelduft in der Nase hatte, der über all den gröberen Gerüchen schwang; manchmal überfiel ihn schon Tage zuvor die Gewissheit, dass sie kommen würde. Er wusste, was sie traurig machte, was sie freudig stimmen, was sie verletzen konnte. Beinahe, als sei er ein Teil von ihr, ein ungeliebter, hassbeladener Teil freilich, von dem sie sich fast wütend zu befreien suchte.
Was nur hatte er getan, dass sie ihn so ablehnen musste? Welches Verbrechen begangen, von dem er selber nichts wusste?
Es tat ihm in der Seele weh, wenn sie sich so harsch von ihm abwandte, denn es gab flüchtige, verblasste Bilder in ihm, wo es anders gewesen sein musste. Damals hatte sie sich über sein Bettchen gebeugt, wenn sie allein im Haus waren, ihn hochgenommen, liebkost, seine Wange mit ihrem weichen, zu jener Zeit noch langen Haar gekitzelt - endgültig vorbei! Heute dagegen erstarrte er innerlich, wenn er ihren Hass, ihre Berührungsangst spürte, und verwandelte sich auf der Stelle in das Ungeheuer, das sie offenbar mehr als jeder andere in ihm sah.
Dabei war er ihr seltsamerweise am nächsten, wenn sich ihr ovales Gesicht im Zorn verzerrte und die Augen schmal und dunkel wurden, wenn ihre Stimme anstieg und sie heftig zu gestikulieren begann. Die anderen ließen sich von ihrer beherrschten Art, der moderaten Sprechweise, der feinen Zurückhaltung täuschen. Er nicht. Guntram wusste genau, welches Feuer in dieser Frau loderte, die ihn schmerzlicher als jeder andere Mensch mit dem konfrontierte, was er war: ein Wechselbalg, ein Teufel in Menschengestalt. Beelzebub, vom Karren gefallen, wie die alten Weiber tuschelten.
Der Inhalt des Waschtrogs schillerte in allen Regenbogenfarben. Die Spuren waren kaum noch zu sehen, und seine roh malträtierte Haut brannte. Jetzt hätte er eine der Salben und Tinkturen gebrauchen können, wie sie die frommen Schwestern in ihrer Apotheke verkauften, aber er wäre lieber gestorben, als den holzgetäfelten Laden freiwillig zu betreten. Er schob das Pergament vor dem Fenster zur Seite und schüttete das Wasser mit kräftigem Schwung auf die Straße. Flüche wurden laut; er musste jemanden erwischt haben. Die Vorstellung, dass einer in seiner schmutzigen Brühe gebadet weiterziehen musste, erheiterte ihn. Ja, es bereitete großen Spaß, anderen Streiche zu spielen, sie zu necken und zu piesacken, bis sie wütend wurden - oder noch besser ängstlich! Guntram schielte zu der Holzmaske, an der er den ganzen Sommer lang heimlich in seiner Kammer gearbeitet hatte. Eine Wolfsfratze mit blutunterlaufenen Augen und einem hungrigen roten Maul. Dann zu den Lederflecken, die er an seinen Mantel genäht hatte, den grauen Wollbüscheln, die den Aufzug vervollständigten. Ein Mummenschanz, geeignet, Angst und Schrecken bei denen zu erzeugen, die ihm über den Weg liefen.
Perfekt passend zu seinem neuen, seinem eigentlichen Namen. Er ließ ihn in sich aufsteigen wie eine schillernde Seifenblase. Wulfing - klang das nicht stark, mutig und einsam? Ganz anders als das liebliche, nichtssagende Guntram, zu dem ein glattes Frätzchen passte und kein Gesicht, das der Leibhaftige mit glühendem Dreizack gezeichnet hatte!
Wulfing - das war ein Name, vor dem sich alle in acht nehmen sollten, jeder, der ihn beleidigt, sich abgewandt und vor ihm ausgespuckt hatte! Es gab nur eine Einzige, die er davon ausnahm. Aber die war noch zu jung, um ihr seine wirklichen Gefühle zu offenbaren. Und all die anderen?
Zum Teufel mit ihnen! Er war genau in der Stimmung, es ihnen zu beweisen. Allen. Egal, ob Mann, Frau oder Kind. Und heute Nacht, wenn in der ganzen Stadt mit Lärm und Feuer die Dämonen des Winters ausgetrieben werden würden, war die allerbeste Gelegenheit dazu.
Seitdem es dunkel war, ging sein Puls schneller, und er konnte es kaum erwarten, endlich zu der Meute zu stoßen. An Bruno de Bercks mahnende Worte wollte er jetzt nicht denken. Wenn Johannes der Ordensmann mit den klugen Augen und der Stirnglatze in den Sinn kam, verdüsterte sich seine Stimmung sofort
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