Pforten der Nacht
man nicht unter einer schier unerträglichen Hitze ächzte, die einem den Schlaf raubte, sondern bis in die frühen Morgenstunden hinein die laue Luft genießen konnte. Manchmal steigerte sich sein Widerwillen gegen die fremden Gebäude mitsamt all ihren tüchtigen Händlern und Handwerkern derart, dass er sogar die heimischen Grinköpfe zu vermissen begann, Steinmasken mit ausgestochenen Augen und aufgerissenem Maul, die zahnlos von den Mauervorsprüngen für die Kranbalken heruntergrinsten. Am meisten von allem aber verabscheute er seinen Lehrherrn Anselmo Pandolfini, den das Geschäft mit kostbaren Stoffen so reich gemacht hatte, dass er sich in den sanft gewellten Hügeln von Montecarlo die schönste und prunkvollste Sommervilla aller Seidenhändler aus der Region hatte errichten lassen. Eine gute Gelegenheit, in den heißen Monaten dem feuchten Sumpfklima des Serchiotals zu entfliehen, und daher schon seit Jahrzehnten Brauch bei denen, die es sich leisten konnten.
Seit nunmehr fast vier Jahren lebte Johannes in dem Haus seines Lehrherrn, arbeitete in seinem Kontor, reiste für ihn zu Wasser und zu Land umher und musste sich Tag für Tag einer absoluten Herrschaft beugen, zu der Wutausbrüche und Schimpftiraden ebenso gehörten wie unvermutetes Lob und jähe Gunstbeweise, die einem erst recht den Hals zuschnüren konnten. Raffiniertes Taktieren, starker Wille und geschickt eingesetztes Familienvermögen hatten Pandolfini zu einem der reichsten Seidenhändler der Toskana werden lassen, der seine wertvollen Waren nicht nur in Italien, sondern auf den Märkten der Champagne, in Brügge, Paris, London und eben Köln vertrieb. Lange Zeit war die Stadt Lucca führend auf diesem Sektor gewesen; dies hatte sich geändert, als vor mehr als vierzig Jahren infolge eines harten Militärregimes viele tüchtige Familien die Stadt verlassen und sich in Florenz angesiedelt hatten.
Anselmo Pandolfini war es gelungen, durch kluges Kalkül und enorme Bestechungssummen im Lauf der Zeit immer mehr persönliche Vorteile aus diesem Exodus früherer Mitbewerber zu ziehen. Umso heller strahlte nun der Stern seines Hauses in Lucca und Umgebung, aber er ruhte sich nicht einen Augenblick auf den erworbenen Lorbeeren aus. Geld, so einer seiner Wahlsprüche, mit denen er Johannes malträtierte, verpflichte erst recht zur rastlosen Arbeit.
»Wenn du Geld hast, sei niemals untätig«, raunte er ihm zu, wenn er ihn in sein sparsam, aber edel möbliertes Arbeitszimmer bestellte und mit endlosen Stößen nachzuprüfender Rechnungslisten wieder abziehen ließ, die ihn bis weit in die Nacht beschäftigen würden, nach dem Motto, dass nur der das Zeug zum guten Kaufmann hat, an dessen Fingern die Tinte niemals trocken wird. »Behalte es nicht bei dir, denn es ist besser zu handeln, selbst wenn man keinen Profit daraus ziehen sollte, als es untätig und damit erst recht ohne Profit zu lassen.«
Pandolfini beschränkte sich schon lange nicht mehr auf den ausschließlichen Handel mit Seidenstoffen, sondern hatte seit einigen Jahren Gold- und Silberbrokate mit in sein Sortiment aufgenommen und es nach und nach um Damaste, Atlas, Taft sowie den beliebten Catrasciamito für Priestergewänder erweitert. Besondere Erfolgschancen aber räumte er dem Samt ein; die Webtechnik zu seiner Herstellung existierte erst seit ein paar Jahren, und der Stoff erfreute sich bei den Wohlhabenden in ganz Europa immer größerer Beliebtheit. In Pandolfinis Lagern fand er sich in geschnittener und ungeschnittener Version, ein- sowie mehrfarbig, mit Edelmetallfaden durchzogen und - als absolute Neuheit, mit der er im Augenblick noch so gut wie konkurrenzlos war - in leuchtenden Blumendekors. Nebenbei betrieb er ein florierendes Geschäft mit Beizen und Farbstoffen, nichts Gewöhnliches wie Krapp oder Waid, was man allerorts für ein paar Silberlinge erwerben konnte, sondern Raritäten, die begehrt und daher kostspielig waren: Lackmusflechte, Risogallo, das rote Arsen vom Roten Meer, seltene Alaune und rubinroten Weinstein. Wenn es sich ergab, konnte er auch schon mal eine Ladung Gewürze aufkaufen und weiterverschachern, dies allerdings nur, wenn es sich um Kostbarkeiten wie Muskat, Sennesblätter, Weihrauch, Aloe, Kardamom, Myrrhe und vor allem natürlich Safran handelte, der mit Goldmünzen aufgewogen wurde.
Meist hatte er seine Züge unter Kontrolle. Wenn sich die beladenen Schalen aber senkten und das Zünglein an der Waage schließlich zitternd stehen blieb,
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