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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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einem Mönch, der ihn herzlos in die Fremde hatte ziehen lassen?
    Er tat ihm unrecht, aber er wollte ungerecht sein. Bruno de Berck hatte ihn nicht aufgegeben, sondern ihm durch herumreisende Ordensbrüder einige Botschaften zukommen lassen, Manuskripte, die ihn zur Lektüre aufforderten, Briefe, kurze Gedanken, eine Art geistiger Austausch von Köln nach Italien. Johannes fühlte sich in die Pflicht genommen und ließ manchmal lange Zeit verstreichen, bevor er sich dem Geschriebenen näherte. Und auch dann erging es ihm wechselhaft. Manches verschlang er wie ein Verdurstender, anderes stand ihm quer, bereitete ihm Unbehagen, Kopfschmerzen oder sogar Schlafbeschwerden. Am schlimmsten wurde es, als der Mönch im vorletzten Herbst leibhaftig vor ihm gestanden hatte, schlanker als in seiner Erinnerung, erfüllt von einem warmen inneren Leuchten, das ihn selber noch wirrer und zerrissener hatte werden lassen.
    Der Minorit kam aus Pisa, wo er ein Kloster besucht hatte, barfüßig, mit wenig Gepäck, ein Wanderer auf Gottes Wegen, der seiner Herrin, der Dame Armut, mit reinem Herzen diente. Johannes warf verzweifelte Blicke auf sein besticktes Wams, die feinen Beinlinge, Bruno de Berck aber schien es nicht einmal zu bemerken. Er bat ihn zu einem Spaziergang, den sie vor einer Weinschenke beendeten, im Freien, wo sie die Wärme des Abends genossen. Grillen zirpten, der Mond ging voll und rund über dem Tal auf, und auf dem Gesicht des Mönchs lag ein stetiges Lächeln. Geduldig hörte er sich an, was Johannes stammelnd hervorstieß, seine Abscheu vor dem Geld, der fremden Stadt. Und vor sich selbst.
    »Allein der Mensch ist das Bindeglied zwischen Gott und der Welt«, sagte er schließlich. »Denn er besitzt göttliche Vernunft. Das solltest du niemals vergessen, mein Sohn.«
    Alarmiert hob Johannes den Kopf, aber es war inzwischen zu dunkel geworden, um den Ausdruck de Bercks genau zu erkennen. »So ist nicht alles Irdische nichtig und bekämpfenswert?«, fragte er beklommen. »Nicht alles hässliches rohes Fleisch, das verwesen muss, damit das Göttliche entstehen kann?«
    Der Mönch blieb lange still.
    »Du willst mir nicht verraten, was dich quält«, sagte er schließlich. »Noch immer nicht.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
    »Ich kann nicht«, erwiderte Johannes tonlos. »Dring nicht in mich, Pater, sondern bete für mich.«
    »Darum bitten mich so viele Leute«, erwiderte sein Gegenüber nachdenklich. »Und das ist meine Antwort darauf: Warum strebt ihr aus euch und über euch hinaus? Weshalb bleibt ihr nicht in euch selbst und greift in euer eigenes, kostbarstes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch.« Sein Blick wurde warm. »Nimm dich doch, wo du bist, mein lieber junger Freund, und da lass dich - ausatmend ins heile Ganze zurückströmen!«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Johannes unglücklich.
    »Ich weiß«, erwiderte de Berck, und es klang vergnügt. »Aber du wirst verstehen. Eines Tages. Vielleicht schon bald. Davon bin ich überzeugt.« Er ließ ein kurzes Lachen hören. »Siehst du, jetzt rede ich auch schon von meinem ›Ich‹, das immer etwas will , immer etwas weiß , immer eine Stätte für etwas ist. Dabei liegt der Fall vor, dass ebendieses Ich, indem es etwas will oder etwas weiß oder für etwas rezeptiv ist, stets etwas anderes will und weiß und rezipiert. Wenn es aber etwas anderes will oder weiß oder rezipiert, vergisst es sich selbst.« Er hielt inne. »Du kannst mir folgen, Johannes?«
    »Ich bemühe mich.«
    »Gut, denn nun kommt das Wichtigste: Dieses Ich, das wir eben beleuchtet haben, muss erst von allem anderen , auch von sich selbst als einem anderen , lassen, um sich selbst als wahres Ich zu finden.« Seine Stimme wurde leiser, flüsternd, als verrate er ein Geheimnis oder spräche nur noch zu sich selbst. »Sich aller Bilder entledigen, sich entbinden, um sich zu bilden … das Ledigwerden aller Bilder und sich finden als bildloses Ich …«
    Wie aus weiter Ferne kam er zurück, hob das Talglicht und leuchtete Johannes ins Gesicht. »Kein zerstreutes BewusstSein mehr! Der Mensch wendet sich zu sich selbst und kommt damit Gott ganz nahe. Ja, er wird zu Gott.«
    »Aber das ist doch unmöglich!«, rief Johannes voller Angst. »Und das ausgerechnet aus deinem Mund! Ein Sakrileg, eine Lästerung des Dreifaltigen! Wie könnte so etwas jemals geschehen?«
    »Keineswegs!« Bruno de Berck trank seinen Becher genüsslich aus. »Die Gottheit und der Seelengrund

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