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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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verklärte sich sein mageres, von Pocken gezeichnetes Gesicht mit der hohen Stirn, den buschigen Brauen und der Hakennase. »Das Glück ist ein echtes Weib«, pflegte er dann zu sagen und machte kein Hehl daraus, dass er einer der wenigen war, die wussten, wie man es zu behandeln habe. »Will man es drunten halten, muss man es stoßen und schlagen. Denn es lässt sich, wie überall zu sehen ist, lieber von einem Hitzigen als einem Kalten bezwingen. Auch liebt es die, die nicht bedächtig zaudern, sondern kühn sind und zu befehlen verstehen.«
    Das Schlimmste daran war, fand Johannes, dass er damit recht zu haben schien. Ja, Fortuna war offenbar ihm und seinen Unternehmungen tatsächlich äußerst geneigt; was Anselmo Federico Cesare Pandolfini auch anfasste - er verwandelte es in klingende Münze. Sein Unternehmen führte er mit straffer Hand, Handelspartnern gegenüber so diplomatisch und jovial wie streng und unnachgiebig gegen alle Untergebenen. Was ganz besonders für die Lehrlinge galt. Außer Johannes genoss noch der rotblonde Jacques Robert aus Lyon das zweischneidige Vergnügen, in Pandolfinis Kontor ausgebildet zu werden, ein rauer, verschlagener Bursche ohne jede Illusion, der vor dem Alten buckelte, um schon im nächsten Moment hinter seinem Rücken hämisch auszuspucken. Beide wurden hart herangenommen und hatten in vier Jahren alles gelernt, was der Beruf des Kaufmanns erforderte: Warenkunde, Rechnungswesen, den Umgang mit Zins und Wechsel, doppelte Buchführung, Schuldnerkontrolle, Akquisition, Organisation wie Durchführung von Einkaufsfahrten und vieles mehr, Tätigkeiten und Kenntnisse, die auf dem Papier durchaus solide, anständig und erstrebenswert klangen.
    Die Wirklichkeit aber war vielfach anders. Hier herrschte das Faustrecht des Stärkeren, hier regierten oftmals Lug und Trug. Egal, ob kistenweise verdorbene Wolle aus Frankreich als feines englisches Tuch nach Spanien weiterverkauft wurde, ob Weber gepresst und im Lohn gedrückt oder fest vereinbarte Termine absichtlich zum Platzen gebracht wurden, um die Preise nach oben schnellen zu lassen. Man gab den Hanf nach Zentnern ab, die doch in Wirklichkeit nur siebenundneunzig Pfund wogen; gemahlenen Ingwer oder Pfeffer vermischte man fast schon gewohnheitsmäßig mit Mehl, Sand oder Mäusedreck. Immer öfter wurde ganz dreist und ohne jegliche Scham mit nasser Rohseide gehandelt oder sie in feuchte Säcke verpackt, damit sie schwerer wog, so gut wie immer auf Kosten der kleinen Leute, die ohnehin von früh bis spät für einen Hungerlohn schuften mussten. Johannes konnte die verzweifelten Gesichter, die schwieligen Hände, die von harter Arbeit gebeugten Rücken kaum noch zählen, die er in diesen Jahren gesehen hatte. Viele, die versuchten, auf ihre Weise zu mehr zu kommen, wurden erwischt und abgeurteilt. Nicht umsonst liefen viele in den Städten mit einem geschlitzten Ohr herum, die Strafe der herrschenden Obrigkeit, weil man sie beim Betrug oder Fälschen erwischt hatte.
    Anselmo Pandolfini lachte ihn nur aus, als er anfangs noch gewagt hatte, gegen seine Methoden aufzubegehren.
    »Ein Mann willst du sein? Dass ich nicht lache! Du bist ein Nichts, eine junge, dumme Kreatur, die mir dein Vater überlassen hat, damit ich erst einmal überhaupt einen Menschen aus ihr mache. Was weißt du Tor schon von den Schwierigkeiten, Risiken und Gefahren, die ein echter Kaufmann auf sich nehmen muss, um ein Stückchen Profit zu erzielen? Fehden, Zölle, Schiffbruch, Raubüberfälle, Gauner, wohin man schaut! Wir sprechen uns, cretino, wenn du gelernt hast zu begreifen, wovon du überhaupt redest. Bis dahin halt gefälligst den Mund, und verschone mich auf Weiteres mit deinen Weinerlichkeiten!«
    Johannes hatte weglaufen wollen, mehr als einmal. Aber wohin? Die Pforten eines Klosters waren ihm auf ewig verschlossen, darüber gab es keinen Zweifel. Außerdem dauerte es, bis er leidlich Italienisch und ein wenig das Spanisch der Balearischen Inseln sprach, auf die Pandolfini ihn jedes Frühjahr für ein paar Wochen geschickt hatte, und die zerlumpten Trauergestalten, die am Hoftor seines Lehrherrn um ein Stück Brot bettelten, nahmen ihm den Mut, mittellos den langen, beschwerlichen Weg nach Hause zu wagen. Was sollte er überhaupt bei einem Vater, der ihn hasserfüllt weggeschickt hatte, um sich ungestört mit seiner Buhlschaft zu suhlen, bei einer schwachen, verbitterten Mutter, die ja doch niemals begreifen würde, was wirklich in ihm vorging, und bei

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