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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dem Beginenkonvent, eigens für ihre Aussteuer gewirkt.
    Erst jetzt war sie stark genug, die Gedanken an Regina zuzulassen, mit Sicherheit die Einzige, die über ihren endgültigen Abschied traurig sein würde. Sie hoffte nur, sie würde sie nicht zu sehr verdammen! Am liebsten hätte sie ihr einen langen Brief hinterlassen, um ihr alles zu erklären, aber sie war die ganze letzte Zeit so müde, so verzweifelt gewesen, dass ihr dazu die Kraft gefehlt hatte. Ein paarmal hatte sie Ansätze gemacht, mit ihr darüber zu sprechen, war aber unter dem Feuer der grünen Augen immer wieder verstummt. Es war schon schrecklich genug gewesen, ihr in der Osternacht eingestehen zu müssen, was mit ihrem großherzigen Geschenk geschehen war. Verspielt, vertan, für immer verloren.
    Regina war zornig geworden, hatte Hermann umgehend zur Rede gestellt und ihn beschworen, alles wieder rückgängig zu machen und dafür zu sorgen, dass das Haus an Anna zurückfiel. In Wahrheit war nichts seitdem geschehen. Annas Mund verzog sich schmerzlich. Was konnte die Meisterin eines Frauenhauses schon ausrichten gegen einen wackeren Handwerksmeister, der als Mumber seiner Tochter ganz nach Recht und Brauch gehandelt hatte? Keiner des Schöffengerichts würde sich gegen ihn stellen - keiner!
    Und gestern dann, Esras Abschied. Auch er noch, nachdem Johannes gleich nach Ostern die Stadt in Richtung Italien verlassen hatte, ohne noch ein einziges Mal mit ihr zu reden! Damals waren ihre Tränen versiegt; in ihrem Herzen fühlte es sich seitdem nur noch klamm und kalt an. Seit Tagen schon war er um den »Schwan« herumgeschlichen, mit einem so traurigen, elenden Gesicht, dass sie ihn beinahe in den Arm genommen hätte. Waren sie nicht Freunde seit jeher gewesen, Blutsbrüder, die geschworen hatten, sich niemals zu verlassen, sich immer um einander zu sorgen?
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu, als er ihr in die Küche gefolgt war, er aber wich zurück. Weil er gesehen hatte, was mit ihr war? Scham überflutete sie. Dann kehrte die wilde, fast wütende Entschlossenheit der letzten Wochen zurück. Es wurde Zeit, zu tun, was sie sich vorgenommen hatte. Nur diesen einen, einzigen Gedanken gab es noch in ihr.
    Auf einmal waren sie sich sehr fremd. Und diese Fremdheit machte verlegen und stumm.
    »Ich gehe, Anna. Ich muss gehen.« Es klang beinahe flehend.
    »Wohin, Esra?« Erst später fiel ihr ein, dass sie ihn gar nicht nach dem Grund gefragt hatte. Und auch nicht danach, ob und wann er wiederkommen würde.
    »Nach Venedig. Zu einem Pfandleiher, den schon mein Vater gekannt hat. Ich will lernen und arbeiten. Und frei sein. Um mich selber wiederzufinden.«
    »Aber deine Familie, dein Onkel, Recha, Lea …« Sie hielt inne. Sie würden lernen müssen, mit seiner Entscheidung zu leben, auch wenn es ihnen das Herz brach. So wie Regina, Hermann und Hilla mit ihrer. Sie zwang sich ein missglücktes Lächeln ab. »Du wirst mir fehlen, Esra. Sehr sogar. Die Stadt ohne dich? Das ist nicht mehr dasselbe!«
    Innerlich war sie erleichtert. Wenigstens er würde nichts über ihren Tod erfahren. Und wenn doch, dann zumindest viel, viel später.
    »Du wirst mich schneller vergessen haben, als du dir vorstellen kannst.« Sein Haar war kürzer als sonst. Dunkle Bartschatten auf seinen Wangen. Erwachsen sah er aus, stark und männlich. »Wann findet deine Hochzeit statt?«
    Morgen früh, dachte Anna müde, und zwar mitten in der Hölle. Wenn es stimmt, was man über Selbstmörder sagt, nimmt mich Beelzebub persönlich zur Frau. Sie hoffte nur, man würde ihre Leiche ein ganzes Stück weiter stromabwärts finden. In einem Ort, wo niemand sie kannte.
    »Nichts als dummes Gerede«, entgegnete sie laut. »Du weißt doch, was die Leute immer so zu tratschen haben.«
    Er schaute sie so intensiv an, dass ihr schwindelig wurde. »Noch immer Johannes?« Seine Stimme war nur ein Wispern. »Du wartest auf ihn?«
    »Nein, das tue ich nicht«, erwiderte sie scharf. »Ganz gewiss nicht!«
    Inzwischen war sie am Ufer angelangt. Die Baumblüte war schon vorüber, und die frischen grünen Blätter strotzten im Sonnenschein. Der Fluss war ruhig und blau. Kein Kahn, kein Boot unterwegs, die Fährstelle zum anderen Ufer ein ganzes Stück entfernt. Anna setzte sich ins Gras, wo Löwenzahn und Hahnenfuß sprossen, und spürte die morgendliche Kühle. Weit und klar spannte sich der Himmel über das Wasser, wolkenlos, und drüben in den Auen hörte sie eine Lerche schlagen. Sie schlüpfte aus den

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