Pforten der Nacht
sind eins. Denn du besitzt als Mensch nicht nur die Freiheit, sondern du bist die Freiheit selbst.«
Die Freiheit - welch ein Hohn!
Johannes war froh, als der Franziskaner sich endlich wieder verabschiedet hatte, übrigens ohne zu fragen, was künftig mit ihm geschehen würde. Und er hielt nach seiner Abreise weiterhin bei Pandolfini aus, wie er bisher ausgehalten hatte, zornig, verzweifelt, aber verbissen, nahm auf, lernte, machte neue Erfahrungen. Zu seiner eigenen Überraschung lag ihm das Rechnen, und er stellte sich beim Feilschen nicht einmal ungeschickt an; außerdem besaß er ein unbestechliches Auge und hasste es, übers Ohr gehauen zu werden. Bevor er sich’s recht versah, übertrug ihm der Alte Aufgaben, die eigentlich zu schwierig oder umfangreich für einen Lehrling waren. Johannes löste sie; Pandolfini verstärkte den Druck, und er beugte sich abermals zähneknirschend dem neuen Joch.
Als er zum ersten Mal selbständig den Preis für drei Ballen Damast um einige Florentiner Dukaten gedrückt hatte, obwohl er wusste, dass es den Zwischenhändler in die Knie zwingen würde, lud ihn sein Lehrherr in eine Taverne auf einen Krug gewürzten Wein ein. Johannes blieb nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, obwohl sein Herz schwer und traurig war. Er trank wie geheißen, mehr, als ihm guttat, und glaubte dabei das spöttische Gelächter seines Vaters zu hören. Jan van der Hülst konnte wahrhaft stolz auf sich sein! Er hatte es tatsächlich geschafft: Geld, Gewinn und der Gedanke an wachsenden Profit gehörten inzwischen zum Alltag seines Sohnes. Es nützte nichts, sich ständig die Hände zu waschen beziehungsweise zu einem der zahllosen Heiligen zu flehen, ihn von dieser Qual zu erlösen. Zum heiligen Bartholomäus zum Beispiel, dem Schutzherrn der Gerber, weil er lebendigen Leibes geschunden worden war. Oder zu Johannes, seinem Namensvetter, auf den sich die Kerzengießer beriefen, weil man ihn in einen Kessel voll siedenden Öls getaucht hatte. Für das, was seine Seele marterte, gab es keine Medizin, kein einziges Heilmittel. Auf ihn traf zu, was die Leute über die Lombarden sagten, jene Verräter und Betrüger, die in einer Hand ein Blatt Pergament hielten, in der anderen eine Feder, mit deren Hilfe sie den Armen das Letzte wegnahmen, um mit deren Silber ihre Beutel zu füllen. Er war ein Kaufmann geworden, einer jener Vermessenen, die der heilige Franziskus zutiefst verachtet hatte, weil sie eine Hypothek auf die Zeit beanspruchten, die allein Gott, dem Herrn, gehörte. Der treueste Diener des Teufels, schlimmer als jeder Ehebrecher, Mörder oder Gotteslästerer, die ja wenigstens ab und zu von ihren Sünden ausruhten, während er unablässig nach neuem Gewinn trachtete.
Vielleicht wäre es leichter gewesen, hätte er Verbündete in der Ferne oder Nähe gehabt. Aber dem war leider nicht so. Die Briefe seiner Mutter, die in unregelmäßigen Abständen mit Warensendungen aus Köln eintrafen, steckten voller Klagen und Vorwürfe und belasteten ihn eher, als dass sie ihn aufgerichtet hätten. Sein Vater hüllte sich in beleidigtes Schweigen, ließ sich nur über Pandolfini berichten, der, wie Johannes sich unschwer vorstellen konnte, kein Blatt vor den Mund nehmen würde. Von den alten Freunden kam nicht eine Zeile. Auf den anderen Lehrling Jacques sich zu verlassen wäre nach den ersten unerfreulichen Erfahrungen schlichtweg töricht gewesen, und Lorenzo, seinen einzigen, spätgeborenen Sohn, behandelte Pandolfini kaum anders als seine Lehrbuben. Johannes hatte sich sehr an das Verhalten seines eigenen Vaters erinnert gefühlt und anfangs versucht, engeren Kontakt zu dem bleichen Jüngling mit dem hellen Haar und den tiefliegenden Augen zu finden, der schon zu stottern begann, wenn man ihn nur etwas scharf ansah. Inzwischen aber hatte er aufgegeben, hielt sich lieber an Margherita, die aus einer Mesalliance ihres Vaters mit einer Bediensteten stammte, im Hause aber den Status einer Tochter innehatte und durch ihr fröhliches, liebenswertes Wesen sogar den alten Anselmo versöhnlich zu stimmen vermochte.
Pandolfini ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass diese Kinder nicht das waren, was er für den Fortbestand seines Namens und den Ruhm seines Hauses erwartet hatte. Drei Ehefrauen hatte er bereits begraben, die stille Giulia, die kinderlos geblieben war, die streitsüchtige Concetta, die ihm als einziges Kind Lorenzo geschenkt hatte, und schließlich Laura aus Prato, die ihre Eheschließung
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