Phantasie und Wirklichkeit
hinunter
— will sich mit ihr aussprechen, sie lehnt es ab — und schafft es, ermordet zu
werden. Ist das Ihre Vorstellung?»
«Genau!»
«Aber Bayley hat ein Alibi! Diese
Lokalgeschichte-Frau, sie hat Ihnen gesagt, daß sie die ganze Nacht mit ihm
verbracht hat.»
«Von 21 Uhr abends bis 7 Uhr morgens.
Stimmt. Schliefen zusammen auf dem Fußboden im Haus von Freunden irgendwo in
Cowley — sie weigert sich zu sagen, wo genau.»
«Wahrscheinlich will sie ihre Freunde
da raushalten oder so etwas.»
«Oder so etwas», wiederholte Lewis.
«Vergessen Sie bitte die wenig
schmeichelhaften Kommentare zu nicht, die wir
erhalten. Okay? Wir müssen vorsichtig zu Werke gehen, das wissen Sie.»
Es war erst 16 Uhr, doch der Nachmittag
hatte sich bereits in eine frühe Abenddämmerung verwandelt.
«Können Sie sich vorstellen, Sir, warum
Dr. Grainger so dagegen war, daß ich seine Frau vernahm?»
«Wahrscheinlich hielt er Sie für etwas
ungehobelt, Lewis — zog eine empfindsame Seele wie mich vor. Vergessen Sie
nicht, daß es nur wenige bei der Polizei gibt, die bei solchen Dingen
kompetenter als ich sind.»
«Einen anderen Grund können Sie sich
nicht vorstellen?»
«Sie können es offensichtlich.»
Lewis genoß seinen Augenblick des
Triumphs. «Haben Sie eben das Hochzeitsfoto gesehen — auf Dr. Graingers
Sekretär?»
«Nun ja — von weitem.»
«Eine schöne Frau, Mrs. Grainger — sehr schön.»
«Das Foto ist schon vor etlichen Jahren
gemacht worden — inzwischen hat sie sich wahrscheinlich verändert.»
«Nein! Da liegen Sie falsch, Sir.»
«Woher wissen Sie das?»
«Weil ich sie vor kurzem gesehen habe.
Gestern morgen, um genau zu sein. In der Westgate Library. Sie sagte mir, daß
sie Wendy Allsworth sei. Aber das stimmt nicht, Sir. Sie heißt Sylvia
Grainger .»
«Merkwürdig!» sagte Morse mit seltsam
ausdrucksloser Stimme.
«Besonders überrascht hören Sie sich
nicht an.»
«Sagen Sie mir nur eines. Als Sie die
Aussage von... von Mrs. Grainger aufnahmen — glauben Sie, daß sie da von dem
Mord wußte?»
«Nein, das glaube ich nicht.»
«Sie haben es ihr nicht gesagt?»
«Nein. Wenn sie also nicht alles
geplant hatten...»
«Sehr unwahrscheinlich!» warf Morse
ein.
«...muß Bayley sie früh an dem Morgen
angerufen haben.»
«Glauben Sie, daß er es ihr
gesagt hat?»
«Nein. Wenn sie gewußt hätte, daß es um
eine Mordermittlung ging... Nein, ich glaube nicht, daß er es ihr gesagt hat.»
«Ich bin Ihrer Meinung. Sie war bereit,
sehr weit zu gehen — ist sehr weit gegangen. Aber nicht so weit.»
Lewis zögerte. «Sie werden
entschuldigen, wenn ich das sage, aber wie ich schon vorher erwähnte, Sie
scheinen nicht besonders überrascht zu sein über das alles.»
«Was? Natürlich bin ich das. Von da, wo
ich saß, hätte ich die Königin nicht erkannt, wenn sie auf dem Foto
gewesen wäre. Die alten Augen sind nicht mehr so scharf wie früher.»
«Aber Sie wußten es, nicht?»
fragte Lewis leise.
«Nicht alles, nein», log Morse.
Doch Lewis’ Schweigen war auf traurige
Weise vielsagend, und schließlich nickte Morse. Dann seufzte er tief.
«Ich habe es Ihnen schon immer gesagt,
Lewis, oder etwa nicht? Die Person, die die Leiche findet, ist der
Hauptverdächtige. Das war schon immer meine Philosophie. Es ist wie eine
Zwangsvorstellung bei diesen Mördern — sie wollen, daß ihr Opfer gefunden wird.
Es würde sie verrückt machen, wenn die Leiche eine nennenswerte Zeit irgendwo
herumläge.»
«Wirklich?» fragte Lewis
niedergeschlagen.
«Wirklich! Ich habe Bayley heute
vormittag ins Präsidium bringen lassen — zur Mittagszeit.»
«Während ich bei dem Bauunternehmer
war.»
«Ja. Und Bayley bleibt weiter in
Untersuchungshaft.»
«Sie haben ihn selbst vernommen?»
«Ja. Wie ich Ihnen gerade sagte, ist
niemand bei der Polizei hier von so standhafter und fairer Kompetenz wie ich —
nicht auf diesem Sektor.»
Lewis lächelte gequält und nickte
zuerst; dann schüttelte er den Kopf. Er hätte es wissen sollen...
Er wies mit dem Kopf auf das
Grainger-Haus: «Sollen wir reingehen und sie auch aufs Präsidium
bringen?»
«Tatsächlich ist sie schon, äh,
unterstützt sie uns schon bei den Ermittlungen.»
Lewis explodierte fast. «Aber Sie können
nicht... Sie können nicht annehmen...»
«Doch, ich kann. Ich habe Bayley
beschatten lassen, und er ging aus, um sich mit Sylvia Grainger zu treffen — in
der Bar im Randolph -, das war etwa Viertel vor
Weitere Kostenlose Bücher