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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zwölf. Sie hatte ihrem
Mann gesagt, daß sie für ein paar Stunden zu ihrer Schwester gehe. Das war es,
was sie sagte. Also! Es gibt eigentlich keinen Grund, hier noch länger frierend
herumzusitzen, oder?»
    Lewis ließ den Motor an, und der Jaguar
erwachte zum Leben. Die beiden Polizisten saßen mehrere Minuten schweigend
nebeneinander, während sie zurück ins Zentrum von Oxford fuhren.
    Es war Lewis, der zuerst sprach.
«Wissen Sie, es ist wirklich Unsinn, was Sie behaupten, Sir — wegen der Person,
die die Leiche findet. Ich weiß nicht, wo das bewiesen wird. Und dann
sagten Sie, es sei eine — das sagten Sie doch? — bei
den Mördern, der Wunsch, daß die Leiche gefunden wird. Aber manche von ihnen
nehmen sich enorm viel Zeit und geben sich verdammt viel Mühe, damit die Leiche nie gefunden wird.»
    «Sie haben recht, da stimme ich zu. Ich
habe etwas übertrieben.»
    «Was hat Sie also veranlaßt, Bayley zu
verdächtigen? Irgend etwas muß es gewesen sein.»
    «Es sind all diese elenden
Kreuzworträtsel, die ich mache. Man stolpert da über seltsame Wörter. Als ich
Bayley in seinem Zimmer zum erstenmal sah, dachte ich, was für ein riesiger
breithüftiger Bursche er doch sei. Und dann, heute morgen, habe ich Sheila
Posters Geschichte noch einmal gelesen — und da, nun, da machte es
bei mir. Erinnern Sie sich an das ungewöhnliche Wort, das Sheila
Poster benutzte — über den Gelegenheitsarbeiter? Natürlich hatte sie
einen akademischen Grad in Englisch.»
    Lewis einnerte sich, doch nur vage; er
würde es nachschlagen, wenn sie erst wieder im Präsidium waren.
    «Es war von Anfang an ein
unkomplizierter Fall», fuhr Morse fort. «Wir hätten mit Sicherheit
herausgefunden, früher oder später, wo Bayley gearbeitet hatte.»
    «Früher oder später», wiederholte
Lewis. «Und dieses eine Mal dachte ich, ich sei früher dran. Es ist genau, wie
ich gesagt habe: Ich habe einen zweitklassigen Verstand — ich bin genau wie ein
Zweite-Klasse...»
    «Ah! Das erinnert mich an etwas. Halten
Sie einen Moment, ja?»
    Lewis bog in eine Umgehungsstraße neben
einer Reihe von hellerleuchteten Läden ein, kurz vor dem
Thames-Valley-Polizeipräsidium.
    «Wo genau...?»
    «Hier. Hier ist es genau richtig.»
    Morse zeigte mit einem Finger nach
links, und Lewis bremste vor einer Postnebenstelle.
    «Springen Sie eben rein und besorgen
mir ein Briefmarkenheftchen, bitte.»
    «Erster oder zweiter Klasse?» Aus
irgendeinem Grund fühlte Lewis sich wieder verhältnismäßig gut.
    «Kein Grund, durchzudrehen, oder? Ich
nehme ein Heftchen zweiter Klasse. Heutzutage kommen sie fast so schnell an wie
die erste, wie Sie wissen.»
    Morse hatte die Hände nacheinander in
die Taschen von Mantel, Jacke und Hose geschoben — offensichtlich ohne Erfolg.
    «Sie werden es nicht glauben, Lewis,
aber...»
    «Ich denke, ich werde es glauben, Sir.
Erinnern Sie sich an das, was der Bursche Diogenes Small über die Flüge
erdgebundener Menschen ins Reich der Phantasie schrieb?»
    «Sie meinen, Sie schweben auch so
hoch?»
    «Nein, nicht ganz so hoch. Ich will nur
sagen, daß kein Detektiv nötig ist, um herauszufinden, was Sie versuchen, mir
zu erklären.»
    «Und das wäre?»
    «Sie haben kein Geld.»
    «Ah!»
    Morse schaute stumm auf die Bodenmatte,
und Lewis, jetzt fröhlich lächelnd, öffnete die Tür neben dem Fahrersitz des
Jaguars und befand sich bald auf dem Weg zu den Räumlichkeiten der
Postnebenstelle in Kidlington, Oxon.

Jede Frau hat
ein Geheimnis
     
     
     
    Es war weniger Menschenfreundlichkeit
als der Zwang des Faktischen, was Chief Inspector Morse von der Thames Valley
Police an einem regennassen Abend Anfang Februar 1990, kurz nach 17.00 Uhr,
dazu bewog, sich zur Seite zu lehnen und die Beifahrertür des Jaguar
aufzumachen. An der Bushaltestelle stand einer seiner Nachbarn aus dem
Apartmenthaus in North Oxford, der bereits sehr naß war — und ihn mit scharfem
Blick fixierte.
    «Sehr liebenswürdig», sagte Philip Wise
und brachte seine krumme Gestalt auf dem Beifahrersitz unter.
    Morse knurrte etwas Unverbindliches,
wahrend der Wagen in der Schlange der roten Rücklichter ein paar Meter weiter
die Banbury Road hinaufrollte und die Scheibenwischer kurzlebige Löcher in den
Regenvorhang auf der Windschutzscheibe rissen. Bis zu ihrem Ziel waren es nur
noch gute tausend Meter, aber um diese Zeit waren dafür zwanzig Minuten in der
zunehmend mit Lähmungserscheinungen geschlagenen Blechlawine normal.

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