Phantasie und Wirklichkeit
man in diesem Ton mit mir spricht; ich finde es absolut
überflüssig und beleidigend!»
«Dies ist eine Ermittlung in einem Mord fall,
Sir», begann Morse ziemlich lahm. «Sie müssen verstehen...»
«Aber ich verstehe ja. Und ich sage
Ihnen, Sie verschwenden Ihre Zeit, wenn Sie erwarten, in diesem Haus
Mörder zu finden.»
«Wo waren Sie Sonntag abend?» fragte
Morse ruhig.
«Das kann ich Ihnen sagen. Ich war in
Amerika, da war ich.»
«Und Sie können das beweisen?»
Grainger erhob sich und ging, gefolgt
voll Lewis, zu einem Sekretär, auf dem, neben einem gerahmten Hochzeitsfoto,
ein Umschlag mit Reiseunterlagen (wie sich herausstellte) lag. Er reichte Morse
den Umschlag.
«Wie Sie feststellen werden, bin ich
erst gestern nachmittag zurückgekommen, Montag. Das Flugzeug, ob Sie es glauben
oder nicht, landete pünktlich um 16.15 Uhr. Ich erwischte den Heathrow Bus kurz
nach 17 Uhr und war etwa 18.45 Uhr in Oxford.»
«Es wird sicher nicht schwer sein, das
zu überprüfen», sagte Lewis und lächelte gelassen, und jetzt war es Morse, der
seinen Sergeanten ansah, eher bewundernd als verärgert. Doch er schwieg und
hörte nur zu, als Grainger Lewis noch einmal anknurrte; die Feindseligkeit
zwischen den beiden Männern war jetzt fast physisch greifbar.
«O ja. Es wird kaum eines Mannes Ihres
Kalibers bedürfen, um das zu überprüfen. Und es wird auch kein großes
Problem sein, meine Frau zu überprüfen. Aber ich sage Ihnen etwas, Sergeant. Sie werden es nicht sein, der mit ihr spricht. Ist das klar? Die ganze Geschichte
hat sie sehr durcheinandergebracht, und Sie verstehen, warum — oder? Sheila hat
bis vor vierzehn Tagen oder so für sie gearbeitet. Ist das klar? Sie
mögen im Umgang mit Mord etwas abgestumpft sein, Sergeant — aber andere Leute
sind es nicht. Meine Frau hat ein Beruhigungsmittel genommen und wird mit niemandem sprechen, heute nicht. Und mit Ihnen wird sie sowieso nicht sprechen! Der
Inspektor hört sich recht menschlich und zivilisiert an — und vielleicht gibt
es bei der Polizei noch ein paar mehr wie ihn. Jeder von ihnen kann mit
meiner Frau sprechen. Klar? Aber Sie werden es nicht sein, Sergeant.
Warum? Weil ich es sage.»
Puh!
Morse hielt jetzt den Zeitpunkt für
gekommen, zwischen den streitenden Parteien zu intervenieren. «Das ist sehr
freundlich, Sir. Seien Sie unbesorgt. Ich selbst werde Ihre Frau befragen. Aber...
aber es wäre eine Hilfe für uns, wenn Sie zufällig wüßten, wo Mrs. Grainger am
Sonntagabend war.»
«Sie war mit einer ihrer Freundinnen
auf irgendeiner Galaveranstaltung in London. Soviel ich weiß, verpaßten die
beiden den 23.20 ab Paddington und mußten den 0.20 nehmen — den
, so wird er, glaube ich, genannt — und kamen gegen 2 Uhr in
Oxford an. Vom Bahnhof nach Hause nahmen sie sich ein Taxi. Mehr weiß ich
nicht.»
«Haben Sie die Telefonnummer dieser
Freundin?»
«Die werden Sie nicht brauchen. Sie
wohnt nebenan.»
Grainger zeigte vage nach rechts, und
Morse nickte Lewis wortlos zu.
Lewis machte sich auf den Weg.
Morse saß schon im Jaguar, als Lewis
sich zehn Minuten später zu ihm gesellte.
«Er hat recht, Sir. Sie sind Montag
morgen gegen halb drei wieder hier in Cumnor gewesen.»
Morse zeigte sich nicht beeindruckt; er
hatte eine Bestätigung von Mrs. Graingers Alibi erwartet.
Er begann zu erklären.
«Sehen Sie, Lewis, es ist nicht der
Wer-hat-es-getan-Aspekt, der bei diesem besonderen Fall wirklich wichtig ist —
sondern das Warum- hat-er-es-Getan? Warum wurde Sheila Poster ermordet?
Sicherlich muß sie für irgendwen eine Bedrohung gewesen sein, für einen Mann
oder für eine Frau. Und ich denke, eher für einen Mann. Sie muß den Fioffnungen
und dem erwarteten Aufstieg eines Mannes im Weg gestanden haben. Und die
Bedrohung muß so groß gewesen sein, daß sie, als sie sich bei einer
Auseinandersetzung zwischen ihnen weigerte, einen Kompromiß einzugehen, wegen
ebendieser Weigerung ermordet wurde. So hatten wir keine andere Wahl, als das
Pferd beim Schwanz aufzuzäumen — einverstanden? Und wir kannten ihre Seite der Sache bis zu einem gewissen Grad aus der Geschichte, die sie
geschrieben hat. Einige Dinge in dieser Geschichte entsprachen der Wirklichkeit
ziemlich genau, nicht wahr? Das Haus der Graingers — , bitte!
—, ihr Job dort, ihre Affäre mit dem Ehemann, ihr überwältigender Wunsch, mit
der Ehefrau eine Entscheidung zu erzwingen...»
«Vergessen Sie das Baby nicht, Sir!»
« Nein,
ich
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