Morse, der
selbst kein gewandter Unterhalter war, ja, bei dem es sogar gelegentlich
vorkam, daß er am Steuer eines Wagens in totale Sprachlosigkeit verfiel, war
froh, daß Wise das Gespräch allein bestritt. «Mir ist etwas ganz Erstaunliches
passiert», sagte der Mann in dem triefenden Regenmantel.
Rückblickend begriff Morse, daß er,
zumindest zuerst, allenfalls höflich-passiv zugehört hatte, aber immerhin —
zugehört hatte er.
Philip Wise war im Oktober 1938 ans
Exeter College in Oxford gekommen, und als ein Jahr später der Krieg ausbrach,
hatte er dank seiner Fremdsprachenkenntnisse (besonders im Deutschen) einen
ruhigen Job in einer Abwehreinheit ergattert, die am Rande von Bicester
stationiert war. Zwei Jahre hatte er dort in einer scheußlichen, zugigen
Nissenhütte zugebracht, und als sich die Gelegenheit bot, wieder eine Bude in
Oxford zu bekommen, hatte er mit beiden Händen zugegriffen. So kam es, daß er
1941 in die Crozier Road gezogen war, eine triste Durchgangsstraße westlich von
St. Giles, und dort hatte er Miss Dodo Whitaker («Nur mit einem
, Inspector!»)
kennengelernt, die eine winzige Dachstube unmittelbar über seinem Zimmer in dem
schmuddeligen viergeschossigen Haus Nummer 14 bewohnte.
Weshalb sie ausgerechnet mit dem Namen
«Dodo» geschlagen war, hatte er nie erfahren und auch nie danach gefragt, sie
war aber entschieden ein agileres Exemplar als ihre Namensvetterin, die
ausgestorbene Dronte Didus ineptus aus Mauritius. Ihre körperlichen
Reize lohnten zwar kaum einen zweiten Blick, besonders in dem kriegsbedingt
schlichten Overall, in dem sie fast ständig herumlief, dafür besaß sie den
nicht zu unterschätzenden Vorzug, daß sie eine interessante junge Frau war.
Manchmal, wenn sie in dem schlecht beleuchteten Schankraum des Bird and Baby ein halbes Glas leichtes Bier getrunken hatte, verlor sich ihre gewohnte
Nervosität, und dann verbreitete sie sich mit ihrer ziemlich tiefen, rauhen
Stimme kenntnisreich, redegewandt und witzig über Klassenstrukturen, den
Kriegsverlauf und über Musik. Ja, besonders über Musik. Sie waren zusammen in
einen Schallplattenklub eingetreten, und gelegentlich saßen sie abends bei
Kerzenschein in Dodos Zimmer und hörten Platten — von Vivaldi bis Wagner.
Einmal hätte Wise ihr beinah gestanden, daß er begann, mehr als platonischen
Gefallen an ihrer Gesellschaft zu finden.
Beinah.
Dodo hatte einen Bruder namens Ambrose,
der manchmal einen Urlaubsschein fürs Wochenende bekam und dann gewöhnlich
(ganz inoffiziell) in ihrem Zimmer auf dem Fußboden übernachtete. Philip Wise
und Ambrose Whitaker freundeten sich sehr schnell an, und oft saßen sie (zu
Dodos gelindem Ärger) reichlich lange beisammen und tranken Whisky, einen
Stoff, der im Bird and Baby zwar überteuert, aber reichlich vorhanden
war, während er im fernen Bodmin, wo Ambrose als Unteroffizier seine Tage damit
verbrachte, Rekruten mit den Geheimnissen antiquierter Artilleriegeschütze
vertraut zu machen, Seltenheitswert besaß. Er war ein liebenswürdiger, wenn
auch etwas leichtfertiger Typ, dessen Neigung zum Alkohol offenbar seine Liebe
zur Musik in den Schatten stellte (laut Dodo war Ambrose unter anderem ein
Klaviervirtuose). Wie im Flug vergingen diese Wochenenden, und viel zu früh war
es dann wieder soweit, daß Philip mit seinem Freund über das Gloucester Green
ging, um ihn am späten Sonntagnachmittag zur Bahn zu bringen.
Bruder und Schwester — ein wahrhaft
sympathisches Paar!
Und reich; zumindest ihre Eltern waren
es.
Besonders Dodo machte kein Geheimnis
daraus, daß ihre Eltern in überaus angenehmen Verhältnissen lebten, wovon Wise
sich einmal (und nur dieses eine Mal!) persönlich hatte überzeugen können,
nachdem Dodo ihm, als er 1942 auf eine Woche nach Bristol mußte, angeboten
hatte, er könne bei ihnen wohnen. Sie hatte ihm sogar einen Schlüssel zu dem
elterlichen Haus geliehen für den Fall, daß sie bei seiner Ankunft nicht da waren.
Daß Dodos Eltern in Bristol wohnten, wußte Wise schon, er hatte den Stempel auf
den Briefmarken (vermutlich von der Mama) bemerkt, die einmal in der Woche auf
dem verstaubten Mahagonitisch in der kleinen Diele von Nummer 14 lagen und auf
denen vor ihrem Namen stets der Buchstabe stand. Alice? Angela? Anne?
Audrey? Wise hatte es nie erfahren und hatte auch nie danach gefragt. Aber
gewußt hatte er es schon vorher, er war dabeigewesen, als sie mit geübtem
Schwung ihrer schlanken, sehnigen Finger die