Phantasmen (German Edition)
Sache wieder unter Kontrolle ist. Und im Gegenzug werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, damit er die nötigen Schritte einleiten kann. Das ist der Deal.«
»Und das erzählen Sie mir, weil ich ohnehin bald sterben werde?«
»Das erzähle ich Ihnen, damit Sie verstehen, wie weit ich gehen werde. Wenn Sie mich zwingen, Ihnen jeden Knochen bei lebendigem Leibe zu brechen, dann werde ich das tun. Wenn ich meinen Männern befehlen muss, Ihnen die Haut in Streifen herunterzuschneiden, damit Sie mir verraten, wo ich Kopien dieser Discs finde, dann werde ich keine Sekunde zögern. Ich schäle Ihnen die Augäpfel mit einem Löffel aus den Höhlen, wenn es erforderlich sein sollte. Glauben Sie mir, ich werde Ihnen jeden nur erdenklichen Schmerz zufügen, bis Sie reden, Señora Salazar.«
Haven sprach ruhig und leidenschaftslos, aber ich zweifelte nicht einen Herzschlag lang, dass er seine Drohung in den nächsten Minuten in die Tat umsetzen würde. Und ich dachte unweigerlich an die letzte Disc in Tylers Jackentasche.
»Glauben Sie, Ihre Tochter wäre stolz auf ihren Vater?«, fragte die alte Frau. Ich hatte widerwillig begonnen, ihren Mut zu bewundern, ganz gleich, wie viel Fatalismus dahintersteckte.
»Meine Tochter ist nicht mehr in der Lage, Stolz zu empfinden. Auch kein Glück und keine Hoffnung, nicht einmal Schmerz. Alles, was ich noch für Tanya tun kann, ist, ihr eine Ewigkeit als Geist zu ersparen – egal, was mich das kosten wird und welches Schicksal mich dafür in den Kammern erwartet. Haben Sie durch die Augen der Probanden die Hölle gesehen, Señora Salazar? Oder den Himmel? Oder etwas vollkommen anderes? Mir ist es gleich. Mich erwartet das Fegefeuer, auf die eine oder andere Weise. Und das nehme ich gern in Kauf, wenn ich dadurch den Tod meiner Tochter hinauszögern kann, bis die Welt da draußen wieder die alte ist.«
»Glauben Sie denn, Whitehead könnte wirklich etwas gegen die Geister unternehmen? Oder gegen dieses Lächeln? Denken Sie wirklich, er wäre so selbstlos und Ihre Tochter würde ihm irgendetwas bedeuten?«
»Whitehead liebt das Licht«, sagte Haven.
Und da wurde mir klar, warum mir der Name Whitehead die ganze Zeit über so bekannt vorgekommen war. Jeremy und Timothy Whitehead waren Brüder – Zwillinge, soweit ich wusste. Sie waren zwei der reichsten und einflussreichsten Männer der USA, evangelikale Prediger, die sich vor Jahren ihre eigene Kirche erschaffen hatten: den Tempel des Liebenden Lichts. Jene Sekte, deren Broschüren wir im Wagen des toten Amerikaners an der Absturzstelle gefunden hatten.
Teresa Salazar schob sich noch einmal mit raschelnder Robe im Sessel zurecht. Tyler hielt mit links meine Hand, mit der Rechten das großformatige Buch.
Nicht! , formte ich stumm mit den Lippen.
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Mister Haven«, sagte die Wissenschaftlerin. »Es gibt keine Kopien dieser Discs. Geben Sie sich zufrieden mit den vier Probanden. Nehmen Sie sie mit, wenn Sie es für nötig halten. Whiteheads Ärzte können weiter an ihnen forschen oder sonst was mit ihnen anstellen. Meine Arbeit an ihnen ist schon seit langem beendet.«
Als Haven antwortete, passte seine Stimme zum ersten Mal zum Ausdruck jenes Mannes, der sich der Macht des Lächelns widersetzt hatte. Eiskalt und doch von einem Eifer erfüllt, der mir Schauder über den Rücken jagte.
»Vor allem werde ich Sie mitnehmen, Señora! Und ich werde Sie Whiteheads Ärzten übergeben. Die werden dafür sorgen, dass Sie weiterleben, sehr weit entfernt vom Geist Ihres Mannes, und das noch viele Jahre lang. Sie werden dahinvegetieren in einem kahlen weißen Raum und einem Krankenbett, angeschlossen an Computer, mit Schläuchen im Hals und in ihrem Unterleib. Sie werden daliegen wie meine Tochter, aber Sie wird man immer wieder wecken und man wird Sie befragen, und jedes Mal werden Sie ganz genau wissen, wo Sie sind und was Ihnen noch bevorsteht. Whitehead ist ein Mann Gottes, aber Nachsicht ist keine seiner Stärken. Er hat eine Mission, die er erfüllen wird. Und Ihr Krebs wird ihn gewiss nicht davon abhalten, Señora Salazar.«
Draußen im Treppenhaus knisterte ein Funkgerät, und eine undeutliche Stimme sagte etwas. Ein Mann betrat das Zimmer und erstattete in zackigem Tonfall Meldung: »Das Lächeln, Colonel. Es geht wieder los.«
Tyler atmete neben mir tief ein. Mit einem Händedruck und einem Nicken gab er mir zu verstehen, dass jeden Augenblick etwas geschehen würde. Ich schüttelte den Kopf,
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