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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wir sie aus der Bibliothek hinüber in die Liftkabine. Sie dankte uns nicht, blickte mich nur durchdringend an, als wir wieder hinaustraten und ich das Gitter hinter ihr zuzog wie die Tür einer Gefängniszelle. Mühsam hielt sie sich am Haltegriff fest, löste erst nach einem Augenblick zitternd eine Hand und drückte auf den Knopf für das vierte Stockwerk. Zahnräder und Riemen erwachten knirschend zum Leben, dann setzte sich der Lift in Bewegung.
    Wir kehrten in die Bibliothek zurück und fanden Tyler am Erkerfenster. Er drehte sich nicht zu uns um.
    »Da kommen sie.«

18.
    Es war zu spät, um über die Treppe zu entkommen. Ich öffnete die schwere Eisenluke des Kamins und warf den Rahmen und die ausgeschnittene Leinwand hinein. Tyler legte die fünf Discs dazu, behielt aber die sechste mit den Aufzeichnungen Flavies in der Jackentasche. Anschließend gab er mehrere Stücke Kaminanzünder hinein und steckte sie in Brand. Ich wollte die Luke schließen, aber er schüttelte den Kopf.
    »Falls sie danach suchen, sollen sie ruhig die Überreste finden. Vielleicht versuchen sie dann gar nicht erst, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen.«
    Aus dem Treppenhaus erklangen Schritte und Stimmen. Jemand rief auf Englisch: »Sie ist im Aufzug nach oben!« Ein anderer befahl: »Holt sie da runter und bringt sie mir!«
    Emma löschte das Licht und lehnte die Tür an. Dann versteckten wir uns eilig hinter der letzten Regalwand. Graue Flocken lösten sich aus einer wattigen Staubschicht auf Büchern und Brettern.
    Ich konnte nicht anders, als im Halbdunkel einen Blick auf die Buchrücken zu werfen. Viele waren Taschenbücher. Die Titel klangen nach Science-Fiction, und das passte nicht zu dem Bild, das ich mir von Salazar gemacht hatte. Dass ein Mann wie er Menschen entführen und ermorden ließ, um dann am Abend die Füße hochzulegen und Romane über Roboter und Raumschiffe zu lesen, kam mir falsch und fast ein wenig lächerlich vor. Ich sah, dass auch Tylers Blick die Bände streifte, und erinnerte mich an die vielen Bücher in seinen Motorradtaschen.
    In unserem Rücken befand sich ein Erker mit einer Glastür, die hinaus auf einen der vielen schmalen Balkons des Pyramidenhauses führte. Sie war mit einem Schloss unter der Klinke gesichert.
    Plötzlich löste Tyler sich noch einmal aus unserem Versteck, lief zurück zum Kamin und tat irgendetwas, das ich nicht sehen konnte. Augenblicke später war er wieder zurück.
    »Was sollte das denn?«
    »Hatte was vergessen.«
    Ich tastete nach der Waffe in meinem Hosenbund. Sie war fort.
    Wütend funkelte ich Tyler an. »Hast du den Revolver?«
    »Nein.«
    Ich war sicher, dass er log. Vielleicht hatte ich die Waffe am Sessel verloren und er war zurückgelaufen, um sie zu suchen. Wahrscheinlich war sie in den Taschen seiner Jacke verschwunden.
    Schritte mehrerer Männer polterten die Treppe herauf, passierten die Zimmertür und entfernten sich auf dem Weg nach oben. In meinem Hals setzte sich ein harter Knoten fest.
    Emma kauerte zu meiner Linken und versuchte, über die unteren Bücherreihen hinweg einen Blick in den vorderen Teil der Bibliothek zu erhaschen. Ein Streifen Helligkeit lag über ihren Augen, sie wirkten farblos wie Glas.
    Wenig später erklangen von oben die Schreie der alten Frau. Jemand brüllte in militärischem Tonfall, sie solle sich gefälligst ruhig verhalten. Man hörte den Männern an, dass sie alles andere als glücklich waren, sich ihretwegen in die Nähe von Salazars Geist begeben zu müssen.
    Ich bemerkte erst im letzten Moment, dass noch jemand die Treppe heraufkam. Der Gestank der verbrannten Ölfarben und des schmorenden Kunststoffs musste längst auch dort draußen angekommen sein. Abrupt wurde die Tür aufgestoßen, ein Mann erschien inmitten des hellen Rechtecks. Sekundenlang regte er sich nicht, dann betrat er den Raum und verschwand aus meinem Blickfeld. Den Schritten nach zu urteilen ging er zum Kamin. Lederstiefel knarzten, als er vor dem Feuer in die Hocke ging. Jetzt musste er die brennenden Discs entdecken.
    Rasche Schritte, dann ging das Deckenlicht an. »Bringt sie hierher!«, rief der Mann ins Treppenhaus. Gleich darauf kam die Gruppe von oben wieder die Stufen herunter und zerrte die zeternde Teresa Salazar mit sich. »Auf den Sessel!«
    Emmas Hand berührte meine, aber sie griff nicht danach.
    »Warum haben Sie das getan?«, fragte der Mann in scharfem Ton. Ich konnte ihn jenseits der Bücherregale nicht sehen, aber es musste sich wohl

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