Phantasmen (German Edition)
verlangt. Die vier dort unten hätte er auch so gefunden. Was also wollte er?«
»Ich hab’s euch schon gesagt. Meine Aufzeichnungen.«
»Die Bilder aus den Kammern«, murmelte Emma.
»Haben Sie ihn wirklich gesehen? Den Ort, von dem die Geister kommen?«
»Der Prozess war noch lange nicht perfektioniert. Es hätte noch Jahre gedauert, vielleicht Jahrzehnte. Deshalb hat man uns die Verantwortung entzogen. Wir waren ihnen zu … antiquiert und nun sollten Jüngere ran.« Sie lachte leise. »Aber offenbar ist es unseren Nachfolgern nie gelungen, mit uns gleichzuziehen. Man findet keinen zweiten Esteban Salazar – nirgendwo auf der Welt! Und Retinologen mag es viele geben, aber keiner hat meine Ergebnisse reproduzieren können. Deshalb haben sie Lionheart jetzt hierhergeschickt. Sie glauben, dass wir ihnen bei der Übergabe Dinge unterschlagen haben. Technisches Know-how und die vier Probanden, in denen sie fälschlicherweise den Schlüssel zu unseren Erfolgen vermuten – und natürlich die vollständigen Aufzeichnungen. Aber Recht haben sie nur im letzten Punkt. Sie haben nur einen Teil des Bildmaterials bekommen. Der Rest … nun, es ist alles noch hier.«
Ich machte eine umfassende Handbewegung. »Hier heißt –«
»In diesem Haus.« Ihre trockenen Lippen spannten sich bis zum Zerreißen, als sie lächelte. »Gar nicht mal weit von hier.«
»Sie lügen«, sagte Tyler. »Warum sollten Sie uns das verraten, wenn Sie es Haven verschwiegen haben?«
»Bringt mich erst hinauf ins Varieté.« Sie hob eine Hand und zeigte auf Tyler, halb Anklage, halb Herausforderung. »Willst du nicht wissen, was deine Freundin gesehen hat? Du könntest es mit ihren Augen sehen!«
Er machte einen Satz auf sie zu und schloss die rechte Hand um ihre Kehle. Ein Röcheln kam über Teresa Salazars Lippen.
»Ich töte Sie nicht«, sagte er. »Aber ich werde Sie Haven anbieten im Austausch gegen Flavie!«
Ich ging zu den beiden hinüber und öffnete behutsam Tylers Finger. Er ließ es geschehen, ohne mich anzusehen. Im ersten Moment vermied auch ich es, ihm ins Gesicht zu blicken. Als ich es doch tat, bemerkte ich den Glanz in seinen Augen.
Die Frau schnappte keuchend nach Luft.
»Erst die Aufzeichnungen«, sagte ich, so beherrscht ich konnte.
»Du willst sie ihnen geben«, stellte Tyler fest.
»Fällt dir was Besseres ein?«
Emma trat vor den Kamin und nahm Salazars Porträt herunter. Ein helles Rechteck blieb zurück, wo der Rahmen gehangen hatte. Hatte sie geglaubt, es könnte so einfach sein? Ein versteckter Wandtresor?
Aber meine Schwester drehte das Bild herum und betrachtete die hölzerne Rückseite des Gemäldes. »Das ist Öl auf Leinwand. Man spannt sie einfach in den Rahmen, aber niemand montiert eine Rückwand dahinter.«
Die alte Frau sah sie verbissen an und schwieg.
»Hast du ein Taschenmesser?« Emma streckte eine Hand in Tylers Richtung aus. Er griff in seine Hosentasche und reichte ihr sein Springmesser. Emma ließ die Klinge hervorschnellen.
Kurz darauf lag Salazars herausgeschnittenes Porträt auf dem Boden. Dahinter waren sechs Klarsichthüllen zum Vorschein gekommen, säuberlich in drei Reihen auf die Rückwand geklebt. In jeder steckte eine silberne Disc.
»Voilà«, sagte Emma.
Tyler und ich sahen von ihr zu der Wissenschaftlerin. Teresa Salazar hatte den Blick gesenkt. »Je eine Disc für zwei Probanden«, flüsterte sie. »Es sind nur alte Backups, aber sie sollten ihren Zweck erfüllen.«
Tyler löste die Hüllen aus dem Rahmen und las die handschriftlichen Kennzeichnungen. »Nummern«, sagte er. »Und Namen.«
»Ist Flavies dabei?«
Er schüttelte den Kopf. »Das sind nur spanische Vornamen. Felipe, Susanita, Manolito, Guille …«
»Bringt mich zum Aufzug«, verlangte Teresa Salazar. »Den Rest schaffe ich allein.«
Tyler hielt die Discs wie ein aufgefächertes Kartenspiel. »Wer von denen ist Flavie? Und versuchen Sie nicht noch mal, mir weiszumachen, Sie wüssten es nicht.«
Die alte Frau seufzte und gab endgültig auf. »Ich hab sie immer Mafalda genannt. Wir haben ihnen die Namen dieser Figuren gegeben, aus einem alten Cartoon. Kosenamen, weil sie doch wie unsere Kinder waren.«
Tyler sah die Discs durch, nickte bei der vorletzten und ließ sie in seiner Jacke verschwinden. Die übrigen behielt er in der Hand und sprang auf.
»Der Aufzug«, flehte Teresa Salazar.
Ich half ihr, sich aus dem Sessel zu erheben. Emma nahm wieder ihren anderen Arm, und gemeinsam führten
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