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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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um Haven handeln. Vor meinem inneren Augen erschien wieder das Bild des bärtigen Soldaten, der dem Geisterlächeln trotzte.
    Die alte Frau gab keine Antwort.
    »Señora Salazar«, sagte Haven, »mir rennt die Zeit davon. Niemand weiß, wie die Welt in einem Tag oder einer Woche aussehen wird, und vielleicht ist alles, was wir hier gerade tun, völlig umsonst. Aber ich habe einen Auftrag und den allerbesten Grund, ihn zu erfüllen. Also werden Sie mich jetzt dabei unterstützen. Meine Männer stellen in diesem Moment die Hot Suite auf den Kopf und packen ein, was nicht niet- und nagelfest ist. Falls es dort unten Kopien von diesen Discs gibt, dann sind sie schon in unserem Besitz. Aber es würde die Dinge beschleunigen, wenn Sie Ihre Situation noch einmal überdächten und mich nicht zwingen würden, wirklich unangenehm zu werden.«
    »Wenn Sie mich von hier fortbringen, Mister Haven, dann garantiere ich Ihnen, dass Sie kein weiteres Wort aus mir herausbekommen.«
    Mir war noch immer nicht klar, wie viele Männer sich eigentlich im Raum befanden und ob sich weitere im Treppenhaus und im Erdgeschoss aufhielten.
    »Ihnen muss doch klar sein, Señora Salazar, dass ich letzten Endes erfahren werde, was ich wissen muss – entweder gleich oder später. Warum machen Sie es uns beiden nicht ein wenig leichter?« Wieder das Knarren der Lederstiefel. »Warum haben Sie die Discs verbrannt? Was befand sich darauf, das wir nicht finden sollten?«
    Es raschelte, als die alte Frau ihr Gewicht im Sessel verlagerte.
    Plötzlich ergriff Tyler meine Hand. Er hockte rechts von mir hinter dem letzten Regal. Als ich mich zu ihm umsah, zog er ein schweres, gebundenes Buch aus einem der Fächer. Mein finsterer Blick sollte eine Warnung sein, jetzt nur ja keinen Unsinn zu machen – aber meine Hand ließ ich trotzdem, wo sie war.
    Teresa Salazar stieß ein Husten aus. Als sie wieder zur Ruhe kam, sagte sie: »Bilder aus den Kammern, Mister Haven. Wir waren offenbar um einiges erfolgreicher als unsere Nachfolger in den Staaten. Richten Sie Mister Whitehead aus, ich hätte hinter das Licht gesehen. Ich weiß, was uns dort erwartet. Und ich weiß auch, dass Sie meine Akte kennen – also drohen Sie mir nicht damit, mich umzubringen. Die Ärzte haben mir kein Vierteljahr mehr gegeben, aber so wie die Dinge da draußen liegen, dürfte das keine Rolle mehr spielen. Meine Pflegerin ist vermutlich nicht mehr am Leben oder Gott weiß wohin geflohen, und in ein paar Tagen gehen mir die Medikamente aus. Vor Ihnen sitzt eine Tote, Mister Haven, und alles, was mir noch bleibt, ist, die Dinge zu beschleunigen.«
    Als der Söldnerführer wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme schärfer, sein Tonfall kälter. »Sie wissen, warum ich hier bin, nicht wahr?«
    »Weil Whitehead es Ihnen befohlen hat.«
    »Das meine ich nicht.«
    Erneut bewegte sie sich im Sessel. Tylers Finger schlossen sich noch fester um meine. Ich blickte ihm in die Augen, aber er schüttelte nur den Kopf.
    »Ich habe von Ihrer Tochter gehört, Mister Haven«, sagte die alte Frau. »Dann ist es also wahr?«
    »Sie brauchen mir nichts von Krankheiten zu erzählen, Señora. Mein Kind liegt zu Hause in den Staaten in einem sterilen Raum und wartet auf den Tod. Tanya ist acht. Vier Jahre ihres Lebens hat sie mit einem Dutzend Kanülen im Körper verbracht. Seit drei Jahren liegt sie im Wachkoma. Auch wenn es keine Aussicht auf Heilung gibt, sorgen Whiteheads Ärzte dafür, dass sie weiterhin am Leben bleibt.«
    Teresa Salazars Stimme blieb bar jeden Mitgefühls. »Und warum tun Sie ihr das an? Weshalb lassen Sie sie nicht gehen?«
    »Damit sie eine von denen wird?« Rastlos ging er vor dem Kamin auf und ab. »Damit sie bis in alle Ewigkeit als Geist in einem unterirdischen Behandlungszimmer steht?«
    »Sie hätten sie an einen anderen Ort bringen können. An einen schönen Ort. Mein Mann hat sich die Stelle ausgesucht, an der er sterben wollte. Er ist auf seine Bühne gestiegen und hat in aller Ruhe auf den Tod gewartet. Als er starb, war er mit sich im Reinen.«
    »Ihr Mann, Señora Salazar, war zweiundachtzig Jahre alt. Tanya ist noch ein Kind. Anfangs habe ich gehofft, dass es einen Weg für sie geben würde, wieder gesund zu werden. Aber als die Geister auftauchten …« Haven verstummte, blieb stehen und schwieg noch einige Augenblicke länger. Erst dann fuhr er fort: »Ich werde nicht zulassen, dass es ihr ergeht wie den anderen. Whiteheads Team hält sie am Leben, bis diese

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