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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Flavies Augen.
    »Tyler!«, sagte ich jetzt wieder mit einer Stimme, die halbwegs nach mir klang. »Ist Flavie dabei?«
    Sein Kopfschütteln schien ihn unendlich viel Kraft zu kosten. Gerade wollte ich zu ihm auf den Laster klettern, als er zwischen den beiden Metallsärgen hervorstolperte, von der Ladefläche sprang und schwankend neben mir landete.
    »Sie kommen durchs Treppenhaus«, sagte ich. »Und die anderen werden auch gleich wieder da sein.« Tatsächlich meinte ich schon Stimmen aus dem gesprengten Schleusenloch zu hören, Scharren von Stiefeln auf Beton.
    Er sah aus, als hätte er selbst in die Kammern geblickt. Seine Augen wirkten glasig, fast verschleiert. Er hatte sich die Unterlippe blutig gebissen.
    »Sie atmen noch«, flüsterte er. »Sie haben mich angesehen.«
    »Okay. Vergiss sie. Und komm jetzt!« Ich packte ihn an der Hand, dann – als er nicht reagierte – fester mit beiden Händen am Unterarm. Zuletzt zerrte ich ihn einfach mit, so dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als loszulaufen.
    Da sah ich Emma.
    Sie saß hinter dem Steuer eines Elektrobuggys und fuhr uns entgegen. Vorbei an dem Toten und seinem Geist. Ungeachtet der Söldner, die jeden Augenblick aus der Tür zum Treppenhaus stürmen mochten.
    »Steigt auf!«
    Sie bremste das Gefährt vor uns ab und fuhr dabei gleichzeitig eine Kurve. Ich fragte nicht, was sie vorhatte. Stattdessen schob ich Tyler auf die Rückbank, kletterte hinterher und versuchte, Treppenhaus und Schleuse im Blick zu behalten.
    Ich hatte mich nicht getäuscht. Havens Leute kehrten zurück. Die ersten traten gerade zwischen den geborstenen Betonwänden des Schleusengangs hervor, machten zwei, drei weitere Schritte, blieben wie angewurzelt stehen und schienen als Erstes den Gestank zu bemerken, der ihnen aus den Transportern entgegenquoll.
    Emma trat das Gaspedal durch. Der Elektromotor surrte leise. Ich fragte mich, wie lange er durchhalten würde. Schneller als ein Mofa schien das Ding nicht zu fahren, ganz sicher nicht schnell genug, um Schüssen zu entkommen.
    Die Männer hatten uns entdeckt und waren einen Augenblick lang unschlüssig, ob sie erst nach den Probanden sehen oder uns verfolgen sollten. Dann sprang der erste in einen Transporter, während die anderen ihre Pistolen zogen und auf uns anlegten.
    Hinter ihnen trat Haven aus der Schleuse.
    »Stopp!«, brüllte er, wollte uns folgen – und hielt inne, als sein Blick in den vorderen Lkw fiel.
    Auch seine Männer feuerten nicht, sondern blickten nervös zur Seite, die Waffen weiterhin auf uns gerichtet, aber zusehends unsicher.
    Aus dem Treppenhaus traten die beiden Helikopterpiloten und blieben stehen. Einer zog eine Pistole.
    Emma steuerte auf die Ecke der Hot Suite zu.
    Haven brüllte Befehle.
    Im Inneren der Transporter begann etwas zu toben, erst im einen, dann im zweiten. Der Mann im Laderaum kreischte wie ein Kind.

22.
    Sie vergaßen uns einfach.
    Von einem Moment zum nächsten verloren Haven und seine Männer jedes Interesse an uns. Über die Schulter hinweg sah ich, wie der schreiende Mann aus dem Lastwagen sprang und dabei einen anderen mit zu Boden riss. Ein Söldner, der eben noch auf uns gezielt hatte, wurde gleichfalls umgeworfen. Ein Schuss löste sich aus seiner Waffe und schlug peitschend in die Höhlendecke ein, fünfzehn Meter über uns.
    Aus der Schleuse kamen weitere Männer mit Waffen im Anschlag, alarmiert von dem Lärm. Keiner achtete auf uns.
    Noch wenige Meter bis zur Ecke. Dahinter waren wir fürs Erste sicher.
    Tyler blickte über die Lehnen der Rücksitze, seine Augen glänzten. Aber er verzog keine Miene, starrte nur zurück zu dem, was jetzt in der Öffnung des vorderen Lkw erschien.
    Eine graue, spindeldürre Gestalt tauchte auf allen vieren aus dem Dunkel auf. Die Proportionen waren falsch, Arme und Beine viel zu lang, der Torso zu klein, der Kopf ein hängendes, haariges Ding. Das Wesen schrie sich die Lunge aus dem Hals, es war ein hoher, nicht enden wollender Ton. Vielleicht hatte es das Sprechen verlernt, genau wie das Laufen, denn es stand noch immer gebückt an der Kante der Ladefläche, schlenkerte mit den Armen, machte plötzlich einen stolpernden Sprung ins Freie und klammerte sich an einen der Söldner. Der brüllte ebenfalls, ein anderer feuerte mehrfach in die Luft. Haven rief Kommandos und die Piloten zogen sich ins Treppenhaus zurück.
    Dann bog unser Gefährt um die Ecke und vor uns lag die breite Schneise zwischen der Höhlenwand und der Seitenmauer

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