Phantasmen (German Edition)
der Hot Suite. Der tiefe Schlagschatten des Gebäudes tauchte die eine Hälfte in Finsternis, die andere war diffus von den fernen Deckenstrahlern erhellt.
»Wo willst du hin?«, rief ich nach vorn zu Emma.
Dabei hätte ich mir die Antwort selbst geben können: Sie lenkte den Elektrowagen tiefer in die Höhle, fort von den Lionheart-Söldnern.
»Was haben die ihnen angetan?«, murmelte Tyler, wiederholte es noch einmal schärfer und schlug mit solcher Wucht eine Faust gegen das Gestänge des Buggys, dass Emma für einen Moment fast die Kontrolle verlor. Dann versank er wieder in brütendem Schweigen.
»Ich will zur Rückseite der Hot Suite«, sagte Emma über ihre Schulter. »Und dann weiter weg.«
»Die werden das alles hier in die Luft sprengen!«
»Vielleicht finden wir einen anderen Ausgang.«
Wieso es den geben sollte, war mir ein Rätsel, und ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie ernsthaft daran glaubte. Aber in einem hatte sie Recht: Dort, wo wir herkamen, hatten wir keine Chance.
Das Chaos vorn bei den Lkw klang jetzt nur noch gedämpft zu uns. Das Geschrei des Wesens riss nicht ab und nun schien es, als fielen andere mit ein. Vielleicht war es auch nur der Hall zwischen den Felsen. Aber Tyler hatte alle vier Behälter geöffnet, und wenn es einem der Probanden gelungen war, sich zu erheben, dann vielleicht auch den übrigen.
Der Buggy rollte fast gemächlich an der grauen Fassade entlang, dem hinteren Ende der Hot Suite entgegen. Noch blieb uns Zeit. Haven musste erst die Probanden bändigen, sie in ihren Behältern verstauen und den Konvoi hinauf an die Oberfläche bringen. Vorher konnte er die Sprengung nicht einleiten.
Hinter uns peitschten abermals Schüsse, aber als ich zurückblickte, war niemand da, der uns folgte. Falls an der Schleuse jemand zu Tode kam, würde Haven sich beeilen müssen, um den Abtransport vor der nächsten Smilewave über die Bühne zu bringen. Ansonsten würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich mit seinen Leuten in sichere Entfernung zurückzuziehen und abzuwarten, bis das Lächeln wieder nachließ.
Schließlich erreichten wir das Ende der Schneise. Hier gab es keine Scheinwerfer mehr unter der Höhlendecke, der hintere Teil der Grotte lag in völliger Finsternis.
»Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist«, sagte Tyler.
»Haben die alle so ausgesehen wie der eine?«, fragte ich.
Er nickte. »Mehr oder weniger.«
Emma schaltete die Scheinwerfer ein. Sie tauchten den Boden vor uns in ein ungesundes Gelb.
An die Rückseite der Hot Suite – einer fensterlosen Betonwand, trist wie eine Gefängnismauer – schloss sich eine weite Fläche an.
»Die haben das alles asphaltiert«, stellte ich fest. »Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Doch«, sagte Emma. »Tut es.«
Vor uns schälten sich Kolosse aus verrostetem Stahl aus der Dunkelheit. Reihen von Panzern, rechts und links eines Weges, der tiefer in die Schwärze führte. Ihre Geschützrohre waren über den Weg aufeinander gerichtet, so als stünden sich zwei vergessene Armeen gegenüber. Immer mehr von ihnen tauchten aus der Finsternis auf, zwanzig, dreißig auf jeder Seite. Viele hatten sichtbare Schäden, aufgesprengte Flanken, abgerissene Kanonen. Das hier war kein Waffenlager – es war ein Friedhof.
»Ein Militärschrottplatz«, murmelte Tyler. »Wahrscheinlich noch aus der Zeit Francos, so wie diese Dinger aussehen.«
Bis 1975 war Spanien die letzte faschistische Diktatur Europas gewesen. Der General Francisco Franco war in den Dreißigerjahren durch einen Militärstreich an die Macht gekommen, hatte das Land in einen Bürgerkrieg geführt und bis zu seinem Tod mit Hilfe seiner Geheimpolizei regiert. Die Hot Suite war in den letzten Jahren seiner Regierungszeit entstanden, aber augenscheinlich war dieser Ort bereits lange zuvor von seiner Armee genutzt worden, womöglich schon während des Krieges. Die meisten dieser Panzer waren bei Kämpfen beschädigt worden.
In weiter Ferne, auf der anderen Seite der Hot Suite, verklang das Schreien der Probanden.
Wir rollten über den brüchigen Asphalt zwischen den Panzerwracks, während sich die Finsternis um uns zusammenzog. Nur die vorderen Reihen waren im schwachen Schein unserer Lampen zu erkennen, aber je länger ich ins Dunkel blickte, desto deutlicher sah ich weitere Maschinen im Hintergrund. Ich stellte mir vor, dass auch die Insassen der Panzer hier zurückgelassen worden waren, jahrzehntelang im Dunkeln, stumm und skelettiert. Und dass
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