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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schrottreifes Flugzeug gelangen kann. Klingt das für dich nach weit gekommen?« Er seufzte. »Ich bin nicht anders als Haven. Er tut all das für seine Tochter. Ich tue es für Flavie. Und sie beide sind in Wahrheit schon tot oder so gut wie tot.«
    »Red keinen Unsinn. Haven ist ein Psychopath, der reihenweise Menschen umbringt. Er hat meine Eltern getötet.«
    »Und ich hätte beinahe die Schuld an eurem Tod gehabt.«
    Ich rollte mich auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können. Ich war hundemüde, und hier neben ihm unter den aufgehenden Sternen Andalusiens schwand allmählich mein Widerstand – gegen die Schläfrigkeit, aber auch gegen die Vernunft, die mir sagte, nur ja nichts in ihm zu sehen, das ich später bereuen würde.
    »Wir sind freiwillig bei dir«, sagte ich. »Red dir deshalb kein schlechtes Gewissen ein.«
    »Ich sehe doch, wie sehr du dich um Emma sorgst. Durch mich seid ihr in ein Fiasko nach dem anderen geraten.«
    »Ohne dich hätte Haven uns schon an der Absturzstelle umgebracht. Du hast uns gerettet.«
    »Und du mich.«
    Ich verzog einen Mundwinkel. »Nimm’s nicht persönlich.«
    Er lachte, beugte sich herüber und gab mir einen raschen Kuss auf die Wange. Es war der harmloseste Kuss, den man sich vorstellen kann, erst recht im Vergleich zu jenem, den ich ihm im Auto aufgezwungen hatte. Dennoch war ich wie vom Blitz getroffen.
    Das war nicht gut, ich wusste das. Tyler war nur hier, weil er Flavie so sehr liebte. Und ich durfte nichts in eine schlichte Geste hineininterpretieren.
    Weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, blickte ich eilig zum Flugzeug. Die Scheinwerfer der Wagen beschienen nur seine Unterseite, die obere Hälfte lag im Dunkeln. Dadurch wirkte die Maschine noch größer und bedrohlicher. Die Fenster des Cockpits glühten gelb wie die Augen eines gigantischen Raubtiers.
    »Was willst du jetzt tun?«, fragte ich.
    »Ich sollte einfach einsehen, dass ich verloren habe. Kein Mensch kommt ungesehen da rein. Die erschießen mich, bevor ich an der Startbahn bin.«
    Immerhin hatte er das akzeptiert. Und warum hielt ausgerechnet ich nun dagegen? »Irgendeinen Weg muss es geben.«
    Er sah erstaunt aus, als sich unsere Blicke abermals trafen. »Und wenn es so sein soll? Dass es hier endet?«
    »Hier wird überhaupt nichts enden. Wir haben es bis hierher geschafft, also wirst du gefälligst nicht einfach klein beigeben.« War ich das, die diesen Unsinn redete? Warum konnte ich die Wahrheit nicht einfach akzeptieren? Und was war überhaupt real? Vielleicht lag ich wirklich sterbend in der Savanne oder auf der Couch meines Hypnosetherapeuten und umgab mich mit Trugbildern. Mit Emma, den Geistern, mit Tyler.
    Ich schob meine Hand zu ihm hinüber und berührte seine. Er ergriff sie, sagte aber nichts, sah mich nicht einmal an. Stattdessen beobachtete er die Söldner.
    Ich ließ mich in meine Erschöpfung sinken wie in ein Federbett. Die Augen fielen mir zu. Ich schlief nicht sofort, ein letzter Rest Wachsamkeit ließ mich weiter gegen die Müdigkeit ankämpfen. Schließlich aber hatte ich keine Chance.
    Irgendwann muss ich enger an ihn herangerückt sein, bis sich unsere Körper berührten. Ich konnte ihn spüren, während ich langsam davontrieb und dabei wirre Träume hatte von Kamelen und Büchern und der fernen Staubwolke eines Motorrads, das niemals näher kam.

32.
    Ich erwachte und wusste im ersten Moment nicht, wovon.
    Ich lag auf der Seite, mit angezogenen Knien. Tyler hatte seinen Arm von hinten um mich gelegt. Ich konnte seine Brust an meinem Rücken spüren, seinen gleichmäßigen Atem in meinem Nacken.
    Im ersten Augenblick bewegte ich mich nicht. Ich genoss die Ruhe und seine Nähe und blieb mit offenen Augen liegen. Über das Dach des Waggons hinweg blickte ich nach vorn, sah Mondlicht auf der Metallwölbung schimmern und über uns ein atemberaubendes Diadem von Sternen. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn die Schwerkraft aussetzen und wir fallen würden. Von der Erde fort, tiefer und tiefer hinein in ein Meer aus Sternennebeln und fernen Galaxien.
    Im nächsten Moment erkannte ich, was mich geweckt hatte. Drüben auf dem Flugplatz lief der Rotor eines Helikopters an. Scheinwerfer flammten an seinem Bug auf.
    »Tyler!« Ich rollte mich aus seiner Umarmung. Als ich ihn wieder ansah, sprang er schon auf. Seine Reflexe waren unglaublich. Oder war er erschrocken, dass er mir im Schlaf so nahe gekommen war?
    Ich stemmte mich hoch und wies auf den Hubschrauber.

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