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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in Emmas Rucksack gesteckt. Nur konnten sie es nicht anpeilen, solange es nicht eingeschaltet war. Unten im Tunnel war das Signal nicht stark genug, aber hier, in ihrer unmittelbaren Nähe …« Er ballte eine Faust, fuhr herum und schlug mit aller Kraft gegen die Wand des Waggons. »Ich hätte dieses Ding niemals aufladen dürfen! Und dann hab ich es laufen lassen, eine Stunde oder länger, und deswegen haben sie jetzt Emma und –«
    Ich berührte ihn an der Schulter, mit einem Mal sehr viel ruhiger. »Du kannst nichts dafür. Nicht mehr als Emma und ich. Wir haben uns die Dateien zu dritt angesehen, wir waren genauso neugierig wie du.«
    Vom einen Augenblick zum nächsten hatten wir die Rollen getauscht. Nun war ich diejenige, die versuchte, die Fassung zu bewahren. Weil mir mit einem Mal klar war, was ich zu tun hatte. Und weil ich wusste, dass nichts und niemand mich aufhalten konnte. Auch er nicht.
    »Ich gehe jetzt zu ihnen«, sagte ich.
    »Was?«
    »Ich lasse Emma nicht allein, egal, was Haven mit ihr vorhat.«
    »Kommt gar nicht in Frage.«
    Ich schenkte ihm ein Lächeln, das wahrscheinlich nervös und wächsern wirkte. »Wenn das der einzige Weg ist, um wieder bei ihr zu sein, dann werde ich das tun.«
    »Wir holen sie da raus! Wir –«
    »Du hast es doch vorhin selbst gesagt: Wir haben keine Chance, lebendig bis zum Flugzeug zu kommen. Und du hast noch was gesagt: dass es hier vielleicht enden muss.« Ich beugte mich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Dann soll es eben so sein.«
    »Die werden dich umbringen!«
    Aber ich wandte mich schon ab, sprang aus dem Waggon und rannte die Böschung des Bahndamms hinunter auf den breiten Streifen Brachland zwischen Gleisen und Mauer, wo die Lichtkegel der Suchscheinwerfer wie Figuren in einem altmodischen Videospiel umherhuschten.
    »Rain!«
    Ich hörte nicht auf ihn. Auf halber Strecke zwischen Zug und Mauer wandte ich mich nach links und lief parallel zu den Schienen, möglichst weit fort vom letzten Waggon.
    Der Helikopter befand sich gerade auf der anderen Seite des Bahndamms. Als die Scheinwerfer zurückkehrten, rissen sie zwei Jeeps aus dem Dunkel, die mir in einiger Entfernung entgegenkamen. Haven musste Befehl gegeben haben, die Waggons ein zweites Mal zu durchsuchen. Aber sie hatten doch den Laptop. Was suchten sie noch?
    Und dann fiel es mir ein. Der Kerl hat mich durch halb Europa verfolgt , hatte Tyler über den Amerikaner gesagt. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, seit sich die Ereignisse derart überschlagen hatten. Also gab es eine Verbindung zwischen Tyler und Whitehead, die über den Amerikaner führte. Haven hatte es auf den Laptop eines Toten abgesehen, der Tyler wochenlang nachgestellt hatte. Wusste Haven davon? Falls ja, dann kannte der Tempel des Liebenden Lichts Tylers Namen. Wahrscheinlich von Flavie. Ging es ihnen also auch um Tyler selbst?
    Ich blieb stehen, streckte die Arme zur Seite und wartete darauf, dass die Scheinwerfer mich erfassten. Augenblicke später war ich in Helligkeit getaucht, halb blind durch das Licht, das auf mich herabstrahlte. Mir fiel die Waffe ein, die hinten in meinem Hosenbund steckte. Ich zog sie mit Daumen und Zeigerfinger hervor, so dass jeder sie sehen konnte, und schleuderte sie hinter mich.
    Die Jeeps waren nur noch fünfzig Meter entfernt.
    Von oben dröhnte eine Lautsprecherstimme herab. »Bleib, wo du bist!«, befahl sie auf Englisch. »Nicht bewegen!«
    Ich erwartete die Wagen mit ausgebreiteten Armen. Meine Entschlossenheit war ein Panzer gegen die Furcht, jetzt spürte ich nicht einmal mehr Nervosität.
    »Achtung!«, ertönte die Stimme des Piloten. »Da ist noch einer!«
    Ich sah über die Schulter. Tyler kam mit weiten Schritten heran, unbewaffnet, weil seine Pistole in der Lederjacke steckte; er hatte sie ausgezogen, bevor er aufs Dach geklettert war. Havens Leute hatten auch sie mitgenommen, zusammen mit Emma, dem Laptop und der Disc.
    »Verschwinde!«, rief ich ihm zu, wusste aber, dass es dafür zu spät war. Sie würden ihn nicht mehr gehen lassen.
    Ein paar Meter hinter mir blieb er stehen. Ich konnte sehen, dass meine Pistole zwischen seinen Füßen lag, aber ich war nicht sicher, ob das auch der Pilot erkennen konnte. Ganz sicher nicht die Männer in den Fahrzeugen.
    »Mach jetzt ja keinen Blödsinn!«, sagte ich.
    Er sah an mir vorbei zu den Jeeps. Sie wurden langsamer, fuhren das letzte Stück fast im Schritttempo. Noch immer konnte ich nicht erkennen, wer darin

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