Phantasmen (German Edition)
»Kannst du mir sagen, wen oder was die mitten in der Nacht suchen wollen?«
Ehe er antworten konnte, heulten die Turbinen des Flugzeugs auf. Diesmal war da kein Stottern mehr. Der Pilot ließ die Motoren eine Weile laufen, sie klangen ganz anders als zuvor. Aber warum machte sich der Helikopter bereit zum Abheben, wenn der Transporter in Kürze starten würde?
»Wir müssen hier runter«, sagte ich. »Irgendwas stimmt nicht.«
Geduckt rannten wir zurück zum vorderen Ende des Waggons, kletterten die Eisensprossen hinab und verharrten zwischen den Wagen. Tyler beugte sich vor und blickte nach links und rechts.
»Alles klar«, flüsterte er.
Während wir zurück zur Schiebetür liefen, bekam ich kaum Luft vor Sorge.
Von hier unten aus war wieder die Mauer im Weg, wir sahen nicht mehr, was drüben auf dem Flugplatz vor sich ging. Noch bevor wir die Waggontür erreichten, sah ich aus dem Augenwinkel die Scheinwerfer des Hubschraubers in die Nacht aufsteigen.
»Schneller!« Tyler hechtete mit einem Satz ins Innere des Wagens und fuhr herum, um mich am Arm heraufzuziehen.
»Emma?«, rief ich.
Sie antwortete nicht.
»Emma! Bist du wach?«
Ich stürmte in den hinteren Teil des Waggons, vorbei an den Kistenreihen.
»Emma!«
Sie war nicht da.
»O Gott, Emma!«
Im selben Moment war Tyler neben mir, erkannte, was los war, und lief zurück zur Tür.
Ich blickte in jede Lücke zwischen den Kisten und fand Emma nirgends. Mein Magen fühlte sich an, als hätte jemand ein großes Stück herausgerissen. Ich spürte meine Beine nicht, trieb irgendwie von allein vorwärts, hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und das Hämmern meines Pulsschlags.
Sie konnte nicht fort sein. Nicht einfach so. Nicht während ich geschlafen und nicht auf sie aufgepasst hatte.
»Siehst du sie?« Ich lief zu Tyler, wollte hinaus ins Freie, doch da packte er mich und zerrte mich zurück ins Innere.
»Du –«
Weiter kam ich nicht, denn nur eine Sekunde später strich das grelle Licht eines Suchscheinwerfers über die Öffnung.
Tyler zog mich an sich, redete irgendetwas, aber ich hörte gar nicht zu. Mit einem Ruck riss ich mich los, wartete nur den einen Moment, bis das Licht weitergezogen war, und blickte hinaus.
Der Hubschrauber hing hoch über der Mauer am Nachthimmel und ließ den Scheinwerfer über den Zug wandern.
»Die haben sie«, sagte Tyler hinter mir.
Ich fuhr herum und schrie ihn an: »Nein, haben sie nicht! Sie können sie gar nicht haben. Sie wussten nicht, dass sie hier war, ganz allein und –«
»Rain«, sagte er beschwichtigend.
»Du hast ja keine Ahnung!«, fauchte ich. »Emma ist klüger als wir beide zusammen. Sie wäre niemals allein da draußen rumgelaufen und hätte sich einfangen lassen!«
Er schüttelte den Kopf. Je mehr ich mich aufregte, desto ruhiger wurde er. Einer von uns musste bei Verstand bleiben, und es war offensichtlich, dass nicht ich diejenige sein würde.
»Sie waren hier«, sagte er. »Hier im Waggon.«
»Das ist unmöglich. Wir haben oben auf dem Dach gelegen! Wir hätten doch –«
»Das sind keine Anfänger. Und sie haben etwas gesucht, das sie unbedingt haben wollten.«
»Aber warum Emma?«
»Nicht Emma. Sie lag nur zufällig daneben.«
Ich verstand ihn nicht. Wollte ihn nicht verstehen. Starrte ihn nur an, während draußen der Rotor des Helikopters jaulte.
»Der Laptop«, sagte Tyler. »Sie müssen den verdammten Laptop angepeilt haben. Eine andere Erklärung gibt’s nicht. Das Ding muss von Anfang an präpariert gewesen sein.«
»Aber –«
»Wenn sie uns bemerkt hätten, dann hätten sie uns vom Dach geholt. Aber sie hatten keine Ahnung, dass wir da oben waren, und haben wohl auch gar keine Veranlassung gesehen, nach uns zu suchen.«
In meinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Emma, die nicht mehr da war. Emma, die schon wieder von mir im Stich gelassen worden war. Ich hatte auf dem Dach gelegen und zu den Sternen hinaufgesehen. Ich hatte darauf gewartet, dass Tyler seinen Arm um mich legte. Ich hatte wieder einmal nur an mich gedacht. Alle hatten sie Recht gehabt: meine Großeltern, die Behörden, die ganze Welt. Ich hatte mir geschworen, auf Emma achtzugeben. Und ich hatte sie schon wieder alleingelassen.
»Dieser Kerl an der Absturzstelle«, sagte Tyler, »gehörte zu Whiteheads Sekte. Havens Leute haben sein Auto durchsucht und dann seine Leiche verbrannt. Die haben schon in der Wüste genau gewusst, wonach sie gesucht haben, und es hat die ganze Zeit über
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