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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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der Kupplung waren Eisensprossen in die Wände eingelassen. Ich sah mich um, dann kletterte ich hinauf, froh darüber, mich nach dem endlosen Herumsitzen im Auto und zwischen den Kisten wieder bewegen zu können.
    Ich zog mich auf das Metalldach unseres Waggons, blieb in der Hocke und sah hinüber zum Flugplatz. Von hier aus konnte ich über die Mauer blicken. Die Lionheart-Maschine stand auf einer der beiden Startbahnen. Sie war größer, als ich erwartet hatte, ein gewaltiger Transporter in Tarnfarbe, in dem wohl auch schweres Kriegsgerät Platz fand. Haven konnte seinen gesamten Konvoi darin unterbringen. Nur die Hubschrauber würden zurückbleiben müssen.
    Geduckt lief ich bis zur Mitte des Waggons und legte mich flach auf den Bauch, quer über das Dach mit dem Gesicht zum Flugplatz.
    Die Mauer war etwa hundert Meter entfernt, die Maschine das Fünffache. Erst jetzt fiel mir auf, dass Haven seit Anbruch der Nacht mit einem weiteren Problem zu kämpfen hatte: Die Scheinwerfertürme, die das Gelände beleuchten sollten, waren dunkel. Im Tower gab es sicher Generatoren für Notstrom, aber die riesigen Beleuchtungsanlagen hätten ihn wohl viel zu schnell aufgebraucht. Mehrere Fahrzeuge standen mit laufenden Motoren in einem Halbkreis unter der Tragfläche, die Mechaniker arbeiteten im Schein der Autoscheinwerfer.
    Haven hatte bereits Zelte aufschlagen lassen. Offenbar rechnete er nicht mehr damit, noch in dieser Nacht starten zu können.
    Immer wieder bewegten sich einzelne Gestalten hektisch zwischen Zelten und Flugzeug, andere hatten ein Lagerfeuer entzündet. Männer mit Handstrahlern machten sich an der linken Turbine zu schaffen, auch im Cockpit brannte Licht. Nur in der Nähe des Tors standen einige Geister.
    Eine kaum spürbare Vibration ließ mich aufschrecken. Als ich zur Seite blickte, huschte Tyler über das Dach auf mich zu und ließ sich neben mir nieder.
    »Entschuldige«, sagte er, »ich wollte dich nicht erschrecken.« Er hatte seine Lederjacke ausgezogen und im Waggon zurückgelassen. Sein ehemals weißes T-Shirt war so schmutzig wie meine eigenen Sachen und roch vermutlich auch nicht besser.
    Mit einem Kopfnicken deutete ich hinüber zur Startbahn. »Wenn du was gegen schlechte Laune tun willst, muss du dir nur ein paar Minuten lang ansehen, wie verzweifelt sie da drüben versuchen, diese Kiste in Gang zu setzen. Havens Blutdruck geht sicher gerade durch die Decke.«
    Im Dunklen lächelte er schwach. Eine Weile lang sah er schweigend zum Flugfeld hinüber, dann wandte er mir den Kopf zu. »Du hast Recht gehabt.«
    Ich musste meine Dreadlocks beiseiteschieben, um seinen Blick zu erwidern. »Womit?«
    »Diese Aufnahmen … ich mache mir nur selbst was vor, wenn ich stundenlang daraufstarre und mir einrede, dass es da irgendwas zu entdecken gibt.«
    Sanft schüttelte ich den Kopf. »Es ist alles, was du von Flavie noch hast. Ich versteh das. Absolut.«
    »Vielleicht belüge ich mich nur selbst. Ich hab diese vier« – er suchte nach einem Wort – »Wesen ja gesehen. Ich weiß nicht mal, ob das noch Menschen sind.«
    »Natürlich sind sie das.«
    »Sie hätten verhungern und verdursten müssen. Und trotzdem leben sie. Als sie aufgewacht sind, haben sie alles kurz und klein geschlagen und sind auf Havens Männer losgegangen. Falls sie noch menschlich sind, dann haben sie den Verstand verloren. Und vielleicht noch sehr viel mehr.«
    »Das bedeutet doch nicht, dass Flavie« – ich überlegte kurz –, »dass sie im selben Zustand ist.«
    »Vielleicht laufe ich einfach nur einer Lüge hinterher. Whitehead wird einen guten Grund haben, warum er einen solchen Aufwand betreibt, um die letzten vier rüber nach Amerika zu holen.«
    »Du glaubst, die anderen sind –«
    »Ich glaube gar nichts mehr. Ich bin quer durch Europa gefahren, weil ich geglaubt habe, Flavie sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Dann hieß es, der Absturz war gar keiner, und schließlich, sie sei nie gestorben. Aber vielleicht hab ich mich einfach zu sehr in die Vorstellung verrannt, ich hätte irgendeine Chance, die Wahrheit herauszufinden und Flavie zu retten.«
    »Du bist schon ziemlich weit gekommen, finde ich.«
    »Und wohin hat mich das gebracht? Ich setze unser aller Leben aufs Spiel nur wegen des Geredes einer verrückten alten Frau, suche in einer Bildstörung nach irgendwelchen Zeichen und warte darauf, dass mir ein brillanter Plan einfällt, wie ich an einer Horde schwer bewaffneter Soldaten vorbei in ein

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