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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hörten Emma und ich, wie der Generator angeworfen wurde. Er wummerte wie ein altersschwacher Rasenmäher, aber es war unwahrscheinlich, dass die Laute bis zum Flughafen drangen. Der Söldnertrupp veranstaltete jenseits der Mauer ein Vielfaches an Lärm: In unregelmäßigen Abständen liefen die Turbinen eines Flugzeugs an und wurden wieder abgeschaltet.
    Tyler hatte die Disc dabei, als er zu uns zurückkehrte. Den Laptop aber hatte er an die letzte funktionsfähige Steckdose angeschlossen und unter Trümmern verborgen. Wir mussten warten, bis der Akku genug geladen hatte, um die Disc endlich abspielen zu können.
    Die Sonne stand bereits niedrig über der Mauer des Flugplatzes, als Tyler zum Generator lief, ihn abstellte und den Laptop zurückbrachte. Wenig später saßen wir im Halbkreis in der hintersten Ecke des Waggons um den aufgeklappten Rechner. Tyler schob die Disc ins Laufwerk und klickte eine der Dateien mit Flavies Namen an. Daraufhin erschien das verpixelte Grau, das wir bereits kannten, begleitet von Geräuschen, die wie das Heulen ferner Stürme klangen.
    Bewegungen. Verwirbelte Umrisse. Digitale Schattenspiele.
    So ging es gut zwanzig Minuten lang. Ich begann allmählich das Interesse zu verlieren und Emma gähnte ungeniert. Ihre Augen waren glasig geworden. Vor der offenen Tür wurde es immer dunkler. Die Müdigkeit, gegen die ich seit vielen Stunden ankämpfte, traf mich jetzt mit aller Macht. Nur Tyler starrte noch immer gebannt auf das Bild.
    Und dann –
    »War das ein Gesicht?«
    Emma und ich waren schlagartig wach.
    Tyler setzte das Bild einige Sekunden zurück.
    »Da!«, flüsterte er. »Das hab ich gemeint.«
    Er drückte auf Pause.
    Was da zu sehen war, hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Gewitterwolke als mit einem Gesicht. Zwei Flecken im oberen Drittel waren dunkler als der Rest, aber es brauchte schon einige Vorstellungskraft, um darin Augen zu erkennen.
    »Das könnte alles Mögliche sein«, sagte Emma.
    Ich wollte ihm nicht die Hoffnung nehmen, auf etwas von Bedeutung gestoßen zu sein, doch objektiv betrachtet hatte Emma Recht. Wahrscheinlich hätte man die Aufzeichnungen an jedem beliebigen Punkt anhalten und in den Schemen nach Formen suchen können.
    »Wie viele Minuten sind noch übrig?«, fragte ich.
    Er bewegte den Cursor über das Bild, bis am unteren Rand eine Zeitangabe erschien. »Eine Stunde vierzig. Aber es sind noch mehr Dateien auf der Disc.«
    »So viel Strom haben wir nicht«, sagte Emma.
    Tyler drückte wieder auf Play und ließ das Video weiterlaufen. Die wabernde Form verschwand, dafür erschienen andere. Keine sah auch nur annähernd wie ein Gesicht aus. Das Ganze hatte Ähnlichkeit mit Ultraschallaufnahmen von einem menschlichen Körper, nur dass diese Bilder hier noch undeutlicher waren.
    »Warum machst du nicht erst mal ein paar Stichproben?«, schlug ich vor.
    Er presste die Lippen aufeinander und nickte widerwillig. Seine Finger bewegten sich über das Touchpad. In schneller Folge erschienen Ausschnitte aus dem Rest der Datei. Verpixeltes, flimmerndes Grau, durch das sich dann und wann dunklere und hellere Gebilde schoben.
    Ich spürte, dass ich einschlafen würde, wenn ich auch nur für einen Moment die Augen schloss. Mit einem Ruck stand ich auf, streckte mich und blickte zur Tür. »Okay, entschuldigt mich, aber das hier müssen wir nicht zu dritt machen. Ich werde mal was Nützliches tun und versuchen, einen Blick auf den Flugplatz zu werfen.«
    Tyler sah nur kurz auf. »Sei vorsichtig.«
    Emma lehnte sich gegen eine Kiste und machte die Augen zu.
    Ich schaute durch den Türspalt zur Ummauerung des Flugplatzes. Darüber hatte der Himmel ein dunkles Violett angenommen, die Sonne war verschwunden. Auf der anderen Seite des Bahndamms, weiter im Osten, rückte schon die Nacht heran.
    Ich sprang aus der Öffnung zu Boden und atmete tief ein. Hier draußen roch es wirklich nach Orangen, der Wind wehte aus Richtung der Plantagen. Nach der Hitze des Tages kühlte die Luft jetzt merklich ab.
    Auf der anderen Seite der Mauer erklang das Heulen der Turbinen, um nach kurzer Zeit mit einem Stottern zu ersterben. So ging das seit Stunden. Anfangs hatte Tyler noch bei jedem erneuten Versuch befürchtet, die Maschine könne ohne ihn starten, aber mittlerweile klangen die Geräusche eher schlimmer als zuvor. Was immer Havens Leute da taten, sie schienen noch weit davon entfernt zu sein, den Schaden zu beheben.
    Ich lief an unserem Waggon entlang bis zum nächsten. Oberhalb

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